Weniger Lehrer – mehr Polizisten

Weniger Lehrer – mehr Polizisten

Fünf zusätzliche Polizisten für Wurzen – die Nachricht sorgte zu Beginn der Woche für gute Stimmung in der Stadt. Anlässlich eines Besuches vor Ort erklärte Sachsens Innenminister Roland Wöller: „Für mich ist die sichtbare Sicherheit wichtig. Auch die Bürgerinnen und Bürger wollen wieder mehr Polizisten auf der Straße. Deshalb brauchen wir keine Strukturreformen, die unnötig Verwaltungspersonal binden, sondern mehr Beamte im Streifendienst. Mit den fünf zusätzlichen Kollegen, einem weiteren Streifenwagen, einen Standortverantwortlichen als Ansprechpartner für die Stadtverwaltung, Unternehmen, Vereine und Schulen sowie der 24-Stunden-Besetzung, ist der Polizeistandort Wurzen gut aufgestellt.“

Ob die personellen Verbesserungen über die sichtbare Sicherheit hinaus helfen können, die derzeitigen Probleme in Wurzen zu lösen, muss die Zukunft zeigen. Befragt, ob aus seiner Sicht  die gewalttätigen Auseinandersetzungen der jüngsten Vergangenheit hätten verhindert werden können, wenn mehr Polizeikräfte am Standort eingesetzt gewesen wären, hält sich Andreas Loepki, Leiter des Direktionsbüros der Polizeidirektion Leipzig, eher bedeckt. Ein Mehr an Polizeikräften könne selbstverständlich helfen, strafrechtlich relevante Ereignisse durch ein Mehr an Präsenz zu verhindern, frühzeitiger zu erfahren oder ihnen (noch) schneller entgegenzutreten. „Mit Blick auf die Vergangenheit ist es aber von schlicht hypothetischer Natur, ob die von Ihnen konkret angesprochenen Ereignisse generell nicht stattgefunden hätten. Ich mache aber darauf aufmerksam, dass Kriminalität ubiquitär ist, also zu jeder Zeit, an jedem Ort, in jeder Gesellschaftsform und in jeder Gesellschaftsschicht vorkommt. Sie wohnt quasi in uns und lässt sich auch durch eine Präsenzsteigerung nicht gänzlich beseitigen.“

Erfolg versprechend könnte das Vorhaben der Stadt sein, zusätzlich zwei Sozialarbeiter einzustellen. Wie Pressesprecherin Cornelia Hanspach auf Nachfrage erklärte, soll es sich dabei um Streetworker handeln, die in Wurzen eine aufsuchende Jugendarbeit umsetzen sollen. Mit der Zusammenlegung der Landkreise Muldental und Leipzig sei dieses Angebot zugunsten der stationären Jugendarbeit gestrichen worden. „Jetzt haben wir veränderte Situationen und reagieren auch entsprechend – die Absprachen laufen wirklich sehr konstruktiv. Der Landkreis ist im Boot, auch die Kinder-und Jugendvereinigung Leipzig und der Kreis-Kinder- und Jugendring als Beratung. Wir schauen neben der inhaltlichen Ausrichtung der Erwartungen auch nach der Finanzierung. Unterstützung vom Landkreis wurde zugesagt, aber natürlich wird die Stadt ihren Beitrag leisten und wir schauen nach Möglichkeiten der Förderung.“

Sparen muss die Stadt nach dem Willen der Staatsregierung hingegen im Bildungsbereich: Sächsische Bildungsagentur und Kultusministerium haben die künftige Bewilligung von Fördergeldern für die Schulinfrastruktur explizit an die Reduzierung der Anzahl der Klassen an den drei städtischen Grundschulen von bisher sechs auf maximal fünf geknüpft.

Im vergangenen Jahr hat daraufhin der Wurzener Stadtrat beschlossen, die bis dahin für jede der drei städtischen Grundschulen separat bestehenden Schulbezirke zu einem gemeinsamen Schulbezirk zusammenzufassen. Künftig gilt also der in Sachsen gesetzlich vorgegebene Klassenteiler von 28 nicht mehr für jeden einzelnen Schulbezirk (hier waren bisher 29 angemeldete Kinder ausreichend, um zwei Klassen bilden zu können), sondern nur noch für den einen Gesamtschulbezirk.

Die aktuellen Anmeldezahlen an den Grundschulen hat die Verwaltung trotz mehrerer Anfragen bislang nicht angegeben, es ist jedoch aufgrund der vorliegenden Gesamtschülerzahlen davon auszugehen, dass im nächsten Schuljahr und in den meisten folgenden dadurch lediglich noch vier neue erste Klassen gebildet werden können. Das bedeutet, die Klassenstärken steigen in Wurzen deutlich an, der unter starkem Lehrermangel leidende Freistaat Sachsen spart jedoch langfristig schätzungsweise ca. sechs Lehrerstellen in Wurzen ein.

Kommentar von Sylke Mathiebe:

Die Folgen dieser Bildungspolitik tragen zum einen die verbleibenden Lehrer, für die künftig Grundschulunterricht in Klassen mit mehr als 25 Kindern nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sein wird. Vor allem aber haben damit genau die Kinder zu kämpfen, die ohnehin schon sozial benachteiligt sind und für ihren Start in die Schullaufbahn individuelle Förderung benötigen würden, die in solch großen Klassen jedoch nicht mehr möglich ist. Bildung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Frage muss erlaubt sein, ob mit derlei Politik nicht wieder die Grundlagen für künftige neue Unzufriedenheit geschaffen werden – die wir dann vermutlich mit noch mehr Polizisten bekämpfen werden.

Hintergrundinformationen zur Diskussion um die Schulbezirke finden sich im Ratsinformationssystem der Stadt Wurzen, Protokolle der Sitzungen des Ausschusses für Kultur, Jugend, Schulen, Sport und Soziales vom 12.04.2017 und vom 17.05.2017. Ein Zitat aus einem Fax des Kultusministeriums findet sich im Protokoll der Stadtratsitzung vom 07.03.2017, TOP 5.