Erneuter Überfall auf NDK-Vereinshaus in Wurzen

Erneuter Überfall auf NDK-Vereinshaus in Wurzen

Genau um 01:15 Uhr in der Nacht vom vergangenen Freitag auf Samstag startet die Videoaufzeichnung der Überwachungskamera am Kulturkeller des BürgerInnen-Zentrums am Domplatz 5. Zu sehen sind drei Personen, eine davon augenscheinlich ziemlich unsicher auf den Füßen und zumindest angetrunken wirkend, die sich offensichtlich nicht der Tatsache bewusst sind, bei ihrer Tat gefilmt zu werden.

Das Ergebnis des nächtlichen Überfalls macht Jens Kretzschmar vom Netzwerk für demokratische Kultur e. V., dem das D5 gehört, wütend. Auf rund 1000 Euro beziffert er den Schaden, die beschädigten Fensterscheiben bestehen aus teurem Schallschutzglas – im Kulturkeller finden regelmäßig auch öffentlich zugängliche Musikveranstaltungen statt.

Nicht zum ersten Mal ist das D5 Vandalen zum Opfer gefallen, erst am 12. Mai dieses Jahres hatten im Nachgang eines Fußballspiels des ATSV Wurzen gegen den Roten Stern Leipzig mehrere schwarz gekleidete und zum Teil vermummte Täter den Vereinssitz des NDK angegriffen. Dabei wurden mehrere Kameras zerstört und Bierflaschen gegen die Fassade des historischen Gebäudes geworfen.

Die aktuelle Tat erinnert stark an einen ganz ähnlichen Vorfall in Wurzen im April 2018. Damals griffen laut Angaben der Polizeidirektion Leipzig unbekannte Täter in kürzester Zeit hintereinander zwei Gaststätten in der Innenstadt an. Nach den ersten Befragungen und Ermittlungen vor Ort hätten drei vermummte und schwarz gekleidete Personen die Scheiben der Gaststätten „St. Wenzel“ und „First Diner“ sowie der Pizzeria  „La Grotta“ eingeschlagen und eine übel riechende Substanz in die Räumlichkeiten geschüttet.

Der Anschlag hatte damals in weiten Kreisen der Wurzener Bevölkerung für Empörung gesorgt. Für den Vorsitzenden des „Neuen Forums für Wurzen“, Christoph Mike Dietel, standen, obwohl die Ermittlungen der Polizei gerade erst begonnen hatten, auch die Verantwortlichen bereits fest. In einem offenen Brief an den Wurzener Oberbürgermeister Jörg Röglin behauptete er  u. a. in Bezug auf das Netzwerk für demokratische Kultur e.V. Wurzen (NDK): „Das Netzwerk ist mehrfach in die kriminelle Szene verflochten, der dieser feige Anschlag auf zwei ehrbare, alle Tage schwer arbeitende Träger der Stadtgesellschaft schlechtgeschrieben werden muß“. Beweise für diese Anschuldigung wurden in dem offenen Brief nicht benannt.

Bis heute konnten die Täter von damals nicht ermittelt werden – was im aktuellen Fall eventuell anders sein wird, immerhin gibt es nach Angaben des NDK am Tatort und anhand der sichergestellten und der Polizei übergebenen Videoaufzeichnung viel versprechende Hinweise auf die möglichen Angreifer.

Das NDK hat sich damals klar von dem Anschlag auf die Wurzener Gaststätten distanziert und deutlich gemacht, dass man „demokratische Auseinandersetzungen auf der Ebene der Diskussion und des Dialogs“ führe und Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung entschieden ablehne. Eine Entschuldigung von Christoph Mike Dietel für die bis heute nicht bewiesenen Anschuldigungen gegen das NDK gibt es bisher nicht.

 

Kommentar von Sylke Mathiebe

Beinahe obligatorisch erscheinen die öffentlich geäußerten Kommentare, die sich gegen Gewalt in jeder Form wenden und den Anschein erwecken, alle diese Taten als gleich schlimm einzustufen. Doch Medieninteresse, Anzahl und Prominenz derer, die sich zu dem aktuellen Überfall auf den Kulturkeller des D5 äußern, zeigen nicht zum ersten Mal deutlich, dass es in der Bewertung des Gewichts der jeweiligen Taten erhebliche Unterschiede gibt und die Frage muss gestellt werden, woran das liegt.

Dass Herr Dietel diesmal keinen offenen Brief schreibt, scheint verständlich, schließlich lässt sich das Feindbild in diesem Fall nicht so ohne Weiteres festschreiben. Doch was unterscheidet in der öffentlichen Wahrnehmung den nahezu gleichartig verlaufenen Anschlag auf zwei Gaststätten in der Wurzener Innenstadt vom Überfall auf den Kulturkeller des NDK?

Warum wird das private Eigentum eines Gaststättenbesitzers, der dieses ausschließlich dazu verwendet, um persönlichen Gewinn daraus zu erzielen, offensichtlich höher bewertet, als das gemeinschaftliche Eigentum eines Vereins, das zum großen Teil aus unentgeltlichen Eigenleistungen der Vereinsmitglieder erwachsen ist und das dieser regelmäßig auch unentgeltlich der Stadtgesellschaft für verschiedenste Veranstaltungen zur Verfügung stellt? Sollte das nicht eigentlich umgekehrt sein?