Runder Tisch für Demokratie, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit in Wurzen gegründet

Runder Tisch für Demokratie, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit  in Wurzen gegründet

Sie treten für respektvolles Miteinander, sachlichen Meinungsaustausch und Anstand ein, wollen Hass, Hetze und Gewalt sowie extremistische Umtriebe in ihrer Stadt nicht länger hinnehmen: In Wurzen haben jetzt rund 35 Akteure aus allen Teilen der Zivilgesellschaft einen „Runden Tisch für Demokratie, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit“ gegründet.

Bei der Auftaktveranstaltung am Montag (4. November) im Stadthaus stand das Thema “Sicherheit” im Mittelpunkt. Zu den Gästen zählten Dr. Christoph Brückner aus Leipzig, der für politisch motivierte Delikte zuständige Staatsanwalt, der Leitende Kriminaldirektor des Landeskriminalamtes Sachsen (Staatsschutz), Dirk Münster, der Präsident der Polizeidirektion Leipzig, Torsten Schultze, sowie der bisherige Leiter des Polizeireviers Grimma, Falk Donner.

Initiiert wurde der „Runde Tisch“ von einer Gruppe besorgter Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher Couleur. Zu den rund 35 anwesenden Repräsentanten der städtischen Zivilgesellschaft zählten Oberbürgermeister Jörg Röglin, Politiker von CDU, SPD, Bürger für Wurzen, Grünen und Linken, Vertreter der Ev. und Kath. Kirche, der Schulen und Kindergärten, der Schulsozialarbeit, der Wohlfahrtsverbände, des Sächsischen Richtervereins, der Feuerwehr, der Unternehmerschaft, des Netzwerks für Demokratische Kultur, der Opferberatung sowie ehrenamtlich Engagierte, u.a. aus den Bereichen Flüchtlingshilfe, Sport und Jugendarbeit.

Alarmiert sind sie vor allem durch rechtsextremistische gewalttätige Übergriffe, Bedrohungen und verbale Attacken auf anders Aussehende oder anders Denkende. Der Umgang wird rauer, nicht zuletzt nach dem Einzug von AFD und NFW (Neues Forum für Wurzen) in den Stadtrat. Hetze und Pöbeleien, mündlich oder online, erzeugen ein zunehmendes Klima der Aggression und Angst. Ein vielmals beklagter „Riss“ zieht sich durch die städtische Gesellschaft. Einig sind sich alle Teilnehmer des „Runden Tisches“, dass es gelingen müsse, wieder zu einem menschlichen Miteinander, zu mehr Respekt und Achtung zurückzufinden. Menschenwürde und Sicherheit müssten für alle gewährleistet sein. Und dort, wo die Grenzen zur Strafbarkeit überschritten werden, wünschen sich viele eine ebenso deutliche wie zügige Antwort des Staats.

Grund genug, Vertreter von Staatsanwaltschaft, Kripo und Polizei zur Diskussion rund um das Thema „Sicherheit“ einzuladen, moderiert vom Kulturbüro Sachsen. Dabei wurde deutlich, dass Wurzen im Hinblick auf die allgemeine Kriminalitätsentwicklung zwar – was die nackten Zahlen der angezeigten bzw. bekannten Straftaten anbelangt – in Sachsen kein Brennpunkt sei, so Münster. Tatsächlich sei die Anzahl der politisch motivierten Kriminalität sogar in der letzten Zeit wieder zurückgegangen, entgegen dem verbreiteten Eindruck in der Bevölkerung. Dennoch sei Rechtsextremismus in Wurzen ein Problem, ebenso wie in vielen weiteren ländlichen Kommunen. Man habe die Stadt diesbezüglich auf dem Schirm: „Wir sind regelmäßig in Wurzen im Einsatz, nicht zuletzt im präventiven Bereich.“

Staatsanwalt Brückner bedauerte, ebenso wie Polizeipräsident Schultze, die unbefriedigende Personalsituation. Es mangele nicht nur an Polizisten, sondern auch an Staatsanwälten und Richtern. „Effektive Strafverfolgung hat auch präventive Wirkung“, so Brückner, der seit zehn Jahren in der Abteilung Staatsschutz arbeitet. „Aber leider dauert es meist ein bis zwei Jahre, bis es zu einer Verurteilung kommt.“ Als Beispiel für ein sehr langwieriges und arbeitsaufwändiges Verfahren nannte er die gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Deutschen und Ausländern in der Dresdener Straße am 12. Januar 2018, das erst vor kurzem zu Anklagen führte (drei Libanesen und fünf Deutschen wird u.a. schwerer Landfriedensbruch und gefährliche  Körperverletzung vorgeworfen).

In diesem Zusammenhang appellierte Brückner an die Einwohner, die Ermittlungen besser zu unterstützen. „Leider haben wir in Wurzen oft Probleme, von Tatzeugen Aussagen zu bekommen“, erläuterte er. „Aus Angst? Aus Misstrauen? Oder aus klammheimlicher Übereinstimmung mit den Tätern?“ So sei es beispielsweise schwierig gewesen, im Zusammenhang von Demonstrationen gegen das Zeigen des Hitler-Grußes oder das Grölen von verfassungsfeindlichen Parolen zu ermitteln. „Im Umfeld solcher Demos sehen wir oft, dass Leute lachen oder Beifall klatschen. Nirgends regt sich Widerspruch. Befragt man Zeugen, stoßen wir häufig auf eine Mauer des Schweigens.“ Wenn aber die Beweislage mangelhaft sei und/oder Augenzeugen sich erheblich widersprächen, dann müsse ein Verfahren oft mangels Beweisen eingestellt werden. Allerdings gab Brückner auch zu bedenken: „Nicht alles, was unerwünscht oder moralisch verwerflich ist, ist zugleich strafbar“.

Auch Polizeipräsident Schultze betonte, dass die Polizei nicht alles richten könne, was in der Gesellschaft schief laufe. „Es ist nicht unsere Aufgabe, rechts- und linksextreme Auffassungen  zu bekämpfen, sondern wir müssen Straftaten aufklären.“ Die Polizei könne den Kampf gegen Extremismus nur flankieren, nicht aber alleine führen.

In der anschließenden Diskussion wurde es begrüßt, dass die Experten das Problem deutlich benannt hätten – und nicht etwa versuchten, dieses quasi auszulagern, indem man rechtsextreme Täter als von „auswärts“ kommend deklariert, was mitunter geschehen sei. Keine Antwort erhielten Fragesteller, die Näheres zu den Gerüchten um ein geplantes „Kampfsportzentrum“ in der Dresdener Straße wissen wollten, welches der Rekrutierung rechtsextremen Nachwuchses dienen könne. Allerdings sei in Sicherheitskreisen bekannt, dass es in Teilbereichen der Kampfsport- und Fußballszene eine „Schnittmenge“ mit Rechtsextremismus gebe. Mitunter bestünden auch Bezüge zur Organisierten Kriminalität, wenn auch in geringem Umfang.

Während sich mehrere Fragesteller wünschten, dass die Sicherheitsorgane zum Beispiel bei extremistischen Straftaten härter durchgreifen und schneller ermitteln, riefen die Gäste auf dem Podium zu mehr Wachsamkeit und Engagement seitens der Zivilgesellschaft auf. Schultze verwies auf das Beispiel Ostritz in Ost-Sachsen, wo es einer partei- und konfessionsübergreifenden bürgerlichen Mehrheit gelungen sei, sich mit kreativen Ideen gegen Rechtsrock-Konzerte zu wehren. Den Vorwurf, Polizei und Justiz seien womöglich „auf dem rechten Auge blind“, wies er entschieden zurück. Dort, wo Polizisten sich strafbar machten, werde gehandelt, aber es gebe keine „Gesinnungsschnüffelei“. Und Brückner betonte: „Einige sehen uns, die Justiz, als das Kernproblem. Aber wir müssen alle zusammen etwas tun.“

Als positive Beispiele nannte Donner das Friedensgebet, zu dem die Wurzener Kirchgemeinden nach den Ausschreitungen in der Dresdener Straße Anfang 2018 eingeladen hatten – eine Einschätzung, die Oberbürgermeister Röglin teilte. Zudem verwies Donner auf die präventive Arbeit der Polizei in den Schulen: „Da läuft schon viel in Wurzen.“

Derartige Initiativen möchte der „Runde Tisch“ aufgreifen. Was könnte, sollte oder müsste unternommen werden, um das friedliche Zusammenleben in Demokratie und Freiheit  zu sichern? Wie könnte der gegenseitige Respekt im Meinungsstreit wieder gestärkt werden gegen Anfeindungen, Ausgrenzung und populistische Propaganda? Wie können Akteure ermutigt und Jugendliche vor extremistischen Einflüssen geschützt werden? Darauf soll auf den nächsten Veranstaltungen der Fokus gerichtet werden. Denn eines war am Ende des Abends klar: Nur gemeinsam kann etwas bewirkt werden.

Quelle: Pressemeldung Koordinierungsgruppe “Runder Tisch Wurzen”