Menschen kamen diesmal nicht zu Schaden, trotzdem ist die Empörung in Wurzen groß: In der Nacht zum vergangenen Freitag griffen laut Angaben der Polizeidirektion Leipzig unbekannte Täter in kürzester Zeit hintereinander zwei Gaststätten in der Wurzener Innenstadt an. Nach den ersten Befragungen und Ermittlungen vor Ort hätten drei vermummte und schwarz gekleidete Personen die Scheiben der Gaststätten „St. Wenzel“ und „First Diner“ sowie der Pizzeria „La Grotta“ eingeschlagen und eine übel riechende Substanz in die Räumlichkeiten geschüttet. Anschließend seien die unbekannten Täter in Richtung Stadtmitte/Markt davongerannt. Eine Tatortbereichsfahndung und ein eingerichteter Kontrollposten der Polizei an den Ausfallstraßen nach Oschatz und Leipzig seien erfolglos geblieben.
Da beide geschädigten Inhaber der Lokale Mitbegründer und Vorstandsmitglieder des Vereins „Neues Forum für Wurzen“ seien, wäre ein politisch motivierter Hintergrund nicht auszuschließen. Das Dezernat Staatsschutz der Polizeidirektion Leipzig habe die weiteren Ermittlungen übernommen. Weitere Details zu den unbekannten Tätern liegen laut Polizeiangaben nicht vor.
Trotzdem stehen offenbar für den Vorsitzenden des „Neuen Forums für Wurzen“, Christoph Mike Dietel, die Verantwortlichen bereits fest. In einem offenen Brief an den Wurzener Oberbürgermeister Jörg Röglin behauptet er u. a. in Bezug auf das Netzwerk für demokratische Kultur e.V. Wurzen (NDK): „Das Netzwerk ist mehrfach in die kriminelle Szene verflochten, der dieser feige Anschlag auf zwei ehrbare, alle Tage schwer arbeitende Träger der Stadtgesellschaft schlechtgeschrieben werden muß“
Beweise für diese Anschuldigung werden in dem offenen Brief nicht benannt.
Das NDK hat sich noch am Freitag klar von den Angriffen distanziert. In einem Statement vom 06.04.2018 schreibt Geschäftsführerin Martina Glass:
Das NDK bedauert die Angriffe gegen zwei lokale Gaststätten in Wurzen in der Nacht zum 6. April und distanziert sich klar von jeglicher Form gewaltsamer Handlungen. Gleichzeitig weist der Verein jedwede Anschuldigung der Verantwortung für diese Tat entschieden zurück. Wir sind erschrocken über mündliche und schriftliche Drohungen, welche gegen uns, Mitglieder, Ehrenamtliche oder Mitarbeiter_innen des NDK ausgesprochen wurden. Demokratische Auseinandersetzungen führt das NDK auf der Ebene der Diskussion und des Dialogs. Gewalt lehnt das NDK als Mittel der Auseinandersetzung entschieden ab.
„Ohne mich an Spekulationen zu den Tätern beteiligen zu wollen, sind derartige Aktionen weder ein Protest noch eine Meinungsäußerung. Das ist kriminelle Gewalt“, äußerte sich Oberbürgermeister Jörg Röglin zu den Anschlägen auf die Wurzener Restaurants. Er selbst habe sofort Kontakt mit den Gewerbetreibenden aufgenommen und die Unterstützung der Stadtverwaltung bei der Beseitigung der Schäden zugesichert.
Bei einer politischen Motivation der Anschläge hätten, so der Oberbürgermeister „die Täter der politischen Kultur in unserer Stadt einen Bärendienst erwiesen. Wir sollten sehr schnell in der Lage sein, die unterschiedlichen Meinungen zum Thema Asyl und zum gesellschaftlichen Wandel generell auf erwachsene Weise zu diskutieren. Nur wenn wir uns mit den Ansichten des anderen respektvoll auseinandersetzen und Hetze sowie Gewalt als Diskussionsmittel Tabu sind, können wir miteinander Lösungen finden“, sagt Jörg Röglin.
Im Mai soll es laut Stadtverwaltung eine Bürgerversammlung in Wurzen geben, in der unter anderem die Gräben in der Bürgerschaft thematisiert werden.
Hintergrund:
Das Spektrum der Aktivitäten des 1999 gegründete Netzwerks für demokratische Kultur e. V. umfasst sowohl Projekte der Jugendarbeit als auch Kulturveranstaltungen, Diskussionrunden und Bildungsangebote. Aktuell findet in Zusammenarbeit mit dem Schweizerhaus Püchau e. V. in der Wurzener Pestalozzi-Oberschule eine Veranstaltung zum Thema Demokratieverständnis statt. Seit 2014 unterstützt und bündelt das NDK die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe in der Stadt.
Der Verein finanziert sich zum großen Teil über projektgebundene Förderung, u. a. durch das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz im Rahmen des Landesprogramms Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz, den Kulturraum Leipziger Raum, die Landkreise Leipzig und Nordsachsen im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben, die Stadt Wurzen und die Stiftung Nord-Süd-Brücken.
Das Anfang des Jahres gegründete „Neue Forum für Wurzen“ steht insbesondere der Asylpolitik kritisch gegenüber und will sich nach eigenen Aussagen künftig aktiv in die Wurzener Kommunalpolitik einbringen.