Wurzener Stadtrat umgeht Brandmauer

Wurzener Stadtrat umgeht Brandmauer

Das kulturelle Angebot in der Stadt wird im kommenden Jahr um einiges geringer werden – in der Sitzung vom 15. April lehnte der Wurzener Stadtrat mehrheitlich die weitere Förderung der soziokulturellen Arbeit des Netzwerks für demokratische Kultur e. V. (NDK) für das Jahr 2026 ab.

Ein Blick in den Wurzener Veranstaltungskalender zeigt, dass das NDK neben dem Ringelnatzverein und dem städtischen Kulturbetrieb zu den wichtigsten Akteuren gehört, mit Lesungen, Vorträgen, Konzerten, Diskussionsrunden, Theater-, Tanz- und Musikveranstaltungen und vielem anderem bereichert der Verein das gesellschaftliche und kulturelle Leben in der Stadt.

Ein großer Teil dieser Angebote wird über den Kulturraum Leipziger Raum mitfinanziert. Wie der Beschlussvorlage zu entnehmen ist, bestimmt aber dessen Förderrichtlinie, dass die Förderung von Projekten grundsätzlich von einer angemessenen Beteiligung der Sitzgemeinde in Höhe von 8 % an den zuwendungsfähigen Gesamtkosten abhängig zu machen ist. Bei einem beantragten städtischen Zuschuss in Höhe von 12.915 Euro gehen dem Wurzener Kulturleben demnach rund 150.000 Euro verloren.

Möglicherweise noch größer ist der entstandene Schaden für die Demokratie, denn der Beschlussfassung vorausgegangen war ein längeres Statement des AfD-Stadtrates Lars Vogel, in dem, wie es in einer Pressemeldung des NDK heißt, „einzig die Gegnerschaft seitens der Partei AfD gegenüber dem NDK und seinem Leitbild formuliert wurde. … Skandalös ist es, dass in der überraschend als geheim beantragten Abstimmung weitaus mehr Nein-Stimmen zur Förderung abgegeben wurden, als die AfD Mandate besitzt. So votierten 12 der 20 anwesenden Stimmberechtigten gegen die Förderung des Vereins, fünf Personen stimmten dafür, drei enthielten sich.“

Von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass der Beschluss in geheimer Abstimmung erfolgte, denn laut § 39 der sächsischen Gemeindeordnung erfolgen Beschlussfassungen der Gemeinderäte in der Regel offen, nur im Ausnahmefall aus wichtigem Grund kann ein Beschluss in geheimer Abstimmung gefasst werden. Was genau mit wichtigem Grund gemeint ist, wird dort jedoch nicht definiert.

In den Kommentaren zur SächsGemO und SächsLKrO finden sich dazu folgende Aussagen (Quelle: Kommunal-Info 1/2018, Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.):

„…nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes darf geheim abgestimmt werden, nämlich dann, wenn zu befürchten ist, dass ansonsten eine freie und unbeeinflusste Entscheidung nicht getroffen werden kann.“ (Menke/Arens)

„…dass … eine offene Abstimmung zu echten Konflikten im örtlichen Leben und auch zu Schwierigkeiten im Privat- oder Geschäftsleben führen kann. In solchen Fällen wertet die SächsGemO das Interesse an einer freien und unbeeinflussten Entscheidung höher als das an der Erkennbarkeit der Stellungnahme. Die geheime Abstimmung findet ihre Rechtfertigung darin, dass sie das Ratsmitglied von den Bedenken, sein Votum könnte der oder den betroffenen Personen bekannt werden, befreit und es damit zu einer nur seinem Gewissen unterworfenen Entscheidung befähigt, wodurch auch das freie Mandat nach § 35 Abs. 3 gesichert wird.“

„Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn das öffentliche Wohl oder die berechtigten Interessen Einzelner die geheime Abstimmung erfordern. Ein solcher Grund liegt nicht bereits dann vor, wenn die Maßnahme in der Öffentlichkeit unpopulär ist, ist jedoch gegeben, wenn auf die Kreisräte großer öffentlicher Druck ausgeübt wird.“ (Sponer/Jacob/Menke)

Die Annahme, dass die Stadträte im Falle einer öffentlichen Abstimmung mit negativen Konsequenzen seitens des Vereins oder seiner Anhänger zu rechnen hätten, wird allein dadurch ad absurdum geführt, dass AfD-Stadtrat Vogel – nicht zum ersten Mal und offenbar ohne Angst vor Repressalien oder gar Racheakten seitens des Vereins zu haben oder solche in der Vergangenheit erlebt zu haben – seine Ablehnungsgründe öffentlich machte.

Bleibt also nur die Schlussfolgerung, dass die mindestens sechs Stadträte, die gemeinsam mit der AfD gegen den Beschlussvorschlag gestimmt haben, vor der Öffentlichkeit geschützt werden sollen. Sollte dies tatsächlich als „wichtiger Grund“ im Sinne des Kommunalrechts Bestand haben, wäre die von der CDU so sehr beschworene Brandmauer nur Makulatur, da sie im Bedarfsfall jederzeit durch geheime Abstimmung umgangen werden könnte.

Aber, wie es in der obengenannten Veröffentlichung des kommunalpolitischen Forum Sachsen e.V. heißt: „Das Gebot der offenen Stimmabgabe hat Vorrang. Es entspricht dem demokratischen Öffentlichkeitsprinzip nach § 37 SächsGemO bzw. § 33 SächsLKrO und bleibt von gewichtiger und grundlegender Bedeutung für eine funktionierende, für die Bürgerschaft transparente kommunale Demokratie. Der einzelne Gemeinderat/Kreisrat hat in einer offenen Abstimmung für jedermann erkennbar „Farbe zu bekennen“ und zu seiner Überzeugung zu stehen. Auf diese Weise erhalten die Bürgerinnen und Bürger auch die Möglichkeit, die Auffassungen ihrer gewählten Vertreter zu den einzelnen Sachentscheidungen zu erkennen.

Erfolgt zu einer Angelegenheit eine geheime Abstimmung in Verkennung der rechtlichen Grenzen, obwohl dazu eine offene Abstimmung durchzuführen wäre, gilt der Beschluss als rechtswidrig und wäre auch rechtlich anfechtbar.“

Quellen:

Ratsinformationssystem der Stadt Wurzen

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V., Kommunal-Info 1/2018

Pressemeldung NDK Wurzen vom 18.04.2025