Wurzener Vereinsdomizil D5 für Nachbarschaftspreis nominiert

Wurzener Vereinsdomizil D5 für Nachbarschaftspreis nominiert

„Eine aus Schlesien vertriebene Rentnerin gibt einer geflüchteten Familie aus Afghanistan Deutschunterricht. Der katholische Pfarrer spielt beim Winterfest für geflüchtete und deutsche Kinder den Nikolaus. Ein junger Mosambikaner hilft beim wöchentlichen Stammtisch einem Punk mit Lernschwäche bei den Mathe-Hausaufgaben. Sie alle verbindet der Wunsch, Verantwortung für eine offene Gesellschaft zu übernehmen – in einer sächsischen Kleinstadt mit starker Neonazi-Szene. Den Rahmen für ihr Engagement bietet das Kultur- und Bürger_innenzentrum D5“ – so heißt es in der Projektbeschreibung der nebanan.de Stiftung aus Berlin, von der das D5 gemeinsam mit 103 anderen Initiativen und Projekten aus der gesamten Bundesrepublik für den Deutschen Nachbarschaftspreis nominiert wurde.

Der Nachbarschaftspreis würdigt 2018 bereits zum zweiten Mal Initiativen, die sich in ihrer Nachbarschaft für ein offenes, solidarisches und demokratisches Miteinander engagieren, und ist insgesamt mit über 50.000 Euro dotiert. Die Landesjurys wählen aus den Nominierten 16 Landessieger aus, die am 28. August bekannt geben werden; aus diesen kürt die Bundesjury drei Bundessieger. Die Preisverleihung findet am 5. September in Berlin statt.

Träger des Begegnungszentrums mitten in Wurzen ist das Netzwerk für Demokratische Kultur e. V. Angefangen hat der Verein, der 1999 gegründet wurde, praktisch bei Null. Damals hatten sich Umweltaktivisten,  junge Gemeinde und alternative Jugendliche aus Wurzen zusammengefunden mit dem Ziel, außerhalb der zu dieser Zeit größtenteils rechts dominierten Wurzener Jugendszene Räume für Normalkultur zu schaffen. Vor allem das engagierte Auftreten gegen Rechtsextremismus brachte dem jungen Verein bundesweit Anerkennung und prominente Unterstützer. Schon bald wurde das damalige Domizil in der Bahnhofstraße zu klein für die zahlreichen Vereinsaktivitäten, sodass man sich nach einer geeigneteren Immobilie umschaute.

In einer groß angelegten Spendenaktion, unterstützt von Stern, Die Zeit und der Amadeu Antonio Stiftung, konnte das NDK 65.000 Euro Spendengelder sammeln. Seit Dezember 2002 ist der Verein Eigentümer des denkmalgeschützten, stark sanierungsbedürftigen, altehrwürdigen Gemäuers am Domplatz 5, in dem einst die Wurzener Domherren residierten und konnte im Juni 2006 Keller- und Erdgeschoss des Kultur- und BürgerInnenzentrums D5 in Betrieb nehmen. Bis Mai 2009 wurden 320.000 Euro und rund 15.000 Arbeitsstunden Eigenleistungen in die Sanierung investiert.

Seither bietet das NDK im D5 den Bürgern des gesamten Muldentalkreises und darüber hinaus eine Plattform für verschiedenste Aktivitäten zur Bereicherung des gesellschaftlichen und politischen Lebens. Dazu gehören Beratung und Begleitung von Projekten, Bildungsangebote und die Bereitstellung von Räumen und Technik. Der Verein betreut u. a.  lokale Partnerschaften für Demokratie für die Landkreise Leipzig und Nordsachsen sowie das Jugendbeteiligungsprojekt und die Internetplattform „nix los“. Im Kulturkeller des D5 finden regelmäßig Konzerte, Lesungen und Theateraufführungen statt.

Wichtiger Partner bei der Belebung des Hauses ist Die Projektarbeiter eG, eine Genossenschaft, die vor allem im Auftrag des Freistaats Sachsen Bildungs- und Beratungsprojekte anbietet. Verein und Genossenschaft beschäftigen aktuell 15 Mitarbeiter. Seit 2015 bietet das NDK auch eine Heimstatt für das Unterstützungsnetzwerk für Asylsuchende im Wurzener Land. Viele ehrenamtliche Helfer haben hier eine Willkommenskultur für die Flüchtlinge aufgebaut, im D5 finden regelmäßige Treffen statt, werden Sprachkurse angeboten und Spenden gesammelt.

In den nächsten Jahren will der Verein sein Spektrum noch einmal erheblich erweitern. Derzeit laufen entsprechend dem bestätigten Konzept Sanierung und Ausbau auch der oberen drei Etagen des Hauses. Dazu gehört die Erneuerung des Daches, der gesamten Elektro- und Sanitärinstallationen und der Fassade. In der 1. Etage sollen Seminar- und Arbeitsräume entstehen, in denen dann Veranstaltungen und Tagungen stattfinden werden. In den beiden darüber liegenden Stockwerken werden Räumlichkeiten für die Übernachtung der Gäste eingerichtet, die allerdings nicht für alle Veranstaltungsteilnehmer ausreichen werden, sodass auch die ortsansässige Gastronomie von den zusätzlichen Angeboten profitieren kann.

Die Investitionskosten für die Erhaltung und Sanierung der wertvollen historischen Bausubstanz, die auch für das Gesamtbild des Wurzener Domplatzes große Bedeutung hat, belaufen sich auf ca. 1.050.000 Euro. Rund 600.000 Euro finanziert das NDK über Kredit, 450.000 Euro steuert die Stadt Wurzen über das Förderprogramm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ (SOP) bei.

Der kritische Umgang, den das NDK im Hinblick auf Missstände in der Stadt an den Tag legt, sorgt jedoch immer wieder auch für Widerspruch. Erst kürzlich hat ein Vertreter des Anfang des Jahres gegründeten „Neuen Forum für Wurzen“ einen dreiseitigen Fragenkatalog an den Wurzener Stadtrat geschickt, u. a. mit der Forderung, die Finanzen des Vereins unter die Lupe zu nehmen und die städtischen Zuwendungen sowie die Rolle des NDK bei der Integrationsarbeit auf den Prüfstein zu stellen. In seiner Sitzung vom 26. Juni 2018 hat der Stadtrat die Forderungen einstimmig dahin gehend beantwortet, dass das NDK einer von vielen sei, die sich um die Integration der Asylbewerber in Wurzen kümmern. „Die politischen Aussagen des NDK mögen einem gefallen oder auch nicht. Bei der Integration jedenfalls leisten sie einen Beitrag, auf den die Stadt nicht verzichten kann. Eine weitere Beleuchtung der Rolle des NDK bei deren Integrationsaufgaben sieht der Stadtrat als nicht erforderlich an.“

Eine öffentliche Würdigung der Arbeit des Vereins gibt es bereits in naher Zukunft: Am 24. August erhält das Netzwerk für Demokratische Kultur e. V. den Soziokulturpreis der Kulturstiftung des Freistaats Sachsen. Die feierliche Preisverleihung findet um 15.00 Uhr auf dem Domplatz Wurzen im Rahmen der Eröffnung der Open Air Bühne „Die 7. Tür“ statt, die Laudatio hält Sebastian Krumbiegel.

Informationen zum Nachbarschaftspreis: www.nachbarschaftspreis.de