Überholen auf der S42 – Lkw-Fahrern droht Fahrverbot

Überholen auf der S42 – Lkw-Fahrern droht Fahrverbot

Alltagsradverkehr gibt es in den Dörfern entlang der S42 nur sehr eingeschränkt. Anstatt für die kurze Strecke in den zentralen Ort Kühren, wo mit Bahnanschluss, Einkaufsmöglichkeiten, Kita, Grundschule, medizinischer Versorgung usw. ein umfassendes Infrastrukturangebot vorgehalten wird, umwelt- und klimafreundlich und zudem noch kostengünstig den Drahtesel zu nutzen, holen die Leute aus Sachsendorf, Wäldgen und Streuben zum Teil mehrmals am Tag für alltägliche Besorgungen den Pkw aus der Garage.

Radfahren auf der S42 ist kein Vergnügen. Diese ist zwar als Staatsstraße ausgewiesen, entspricht aber vom Ausbauzustand her noch nicht einmal den Standards einer simplen Ortsverbindungsstraße. Vor allem der Schwerlastverkehr sorgt für erhebliche Gefahren, da aufgrund der geringen Straßenbreite von lediglich 4,80 m Lkw beim Überholen keinen ausreichenden Sicherheitsabstand einhalten können. Seit vielen Jahren kämpfen die Dorfbewohner deshalb schon um eine sichere Radverbindung nach Kühren – bisher gab es von den verantwortlichen Stellen allerdings nur Lippenbekenntnisse.

Dabei wäre es durchaus auch unter den gegebenen Rahmenbedingungen möglich, dass Radfahrer die Straße gefahrlos nutzen, wenn sich alle Verkehrsteilnehmer an die Straßenverkehrsordnung halten würden. Laut dieser muss bei Überholvorgängen ein Seitenabstand immer so ausreichend gewählt werden, dass keine Belästigung, Behinderung, Gefährdung oder Schädigung möglich ist. Ergibt sich ein möglicher Konflikt, muss konsequent auf den Überholvorgang so lange verzichtet werden, bis ein gefahrloses Überholen möglich ist.

In einem aktuellen Rechtsgutachten von Prof. Dr. jur. Dieter Müller im Auftrag des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., das im Dezember 2018 veröffentlicht wurde, heißt es als Fazit zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes „Ausreichender Seitenabstand“ beim Überholen/Vorbeifahren von/an Radfahrern: „Im Einklang mit der bislang einschlägig ergangenen Rechtsprechung sowie dem Grundprinzip der Verkehrssicherheit als oberster Auslegungsmaxime sämtlicher Verhaltensvorschriften der StVO bedarf es bei Überholvorgängen sowie Vorgängen des Vorbeifahrens an Radfahrern unabhängig von der angeordneten Art der Verkehrsführung eines Mindestseitenabstands von 1,5 Metern. Kann dieser nicht eingehalten werden, besteht für Fahrzeugführer gem. § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO ein so genanntes „faktisches Überholverbot“.

Dass dieser geforderte Mindest-Sicherheitsabstand auf der S42 zumindest von Lkw nicht eingehalten werden kann, wurde bereits 2010 amtlich festgestellt. Aus einer Stellungnahme des Straßenbauamtes Leipzig anlässlich eines Ortstermins am 17. August 2010 geht hervor, dass selbst bei Ausnutzung der gesamten Fahrbahnbreite lediglich ein Seitenabstand von 1,30 m möglich ist. Das bedeutet, auf der gesamten Strecke zwischen Kühren und Sachsendorf ist das Überholen von Radfahrern für Lkw verboten.

Zeichenerklärung:

  1. Raumbedarf des Radfahrers ohne Zuschlag für den Bewegungsspielraum bei der Fahrt (0,60 m x 2,25 m)
  2. Raumbedarf des Radfahrers mit Bewegungsspielraum für ungestörte Geradeausfahrt (1,00 m x 2,50 m) – zugewiesener Bewegungsraum des Radfahrers im Straßenquerschnitt
  3. Erweiterter Raumbedarf des Radfahrers bei Ausweichmanövern (2,30 m  x 2,50 m)
  4. Raumbedarf des Kfz ohne Zuschlag für den Bewegungsspielraum bei der Fahrt (max. 2,50 m x 4,00 m)
  5. Raumbedarf des Kfz mit Bewegungsspielraum bei der Fahrt (max. 2,90 m bis 3,00 m x 4,50 m) – zugewiesener Bewegungsraum des Kfz beim Überholvorgang

 

Dass den meisten Brummifahrern diese Rechtslage nicht bewusst ist, zeigt sich in der Praxis, zum Beispiel im Rahmen der Testfahrt, auf die sich die Autorin am heutigen Nachmittag begeben hat (siehe Foto).

In den nächsten Wochen und Monaten sind daher nun weitere Testfahrten geplant. Ziel ist in erster Linie die Information und Sensibilisierung der Lkw-Fahrer, damit langfristig die Einhaltung des Überholverbotes und damit eine sichere Fahrt für Fahrräder auf der S42 erreicht wird. Die verantwortlichen Behörden, also das Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV) und die Stadtverwaltung Wurzen, sind aufgefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Kraftfahrer z. B. durch entsprechende Beschilderung über die Rechtslage zu informieren – insbesondere vor dem Hintergrund, dass in den nächsten beiden Jahren eben diese Behörden für den Ausbau der Ortsdurchfahrt Kühren verantwortlich zeichnen, was in diesem Zeitraum mit hoher Wahrscheinlichkeit für erhöhten Schwerlastverkehr auf der S42 sorgen wird.

Sollten Information und gute Worte nicht erfolgreich sein, werden im Zuge der Testfahrten rechtswidrige Überholvorgänge jedoch auch dokumentiert und ggf. zur Anzeige gebracht. Für Überholen trotz Überholverbot mit Gefährdung sieht der aktuelle Bußgeldkatalog recht drastische Strafen vor, die vor allem Berufskraftfahrer und letztlich auch deren Arbeitgeber empfindlich treffen dürften: ein Punkt in Flensburg, 300 Euro Bußgeld und einen Monat Fahrverbot.

Quellen: Rechtsgutachten Prof. Dr. jur. Dieter Müller

Stellungnahme des Straßenbauamtes Leipzig, Referat Verkehrstechnik von August 2010

Foto: Antje Romahn