Rund 400 Menschen haben am vergangenen Sonntag auf dem Wurzener Marktplatz Gesicht gezeigt für Demokratie und Toleranz im Wurzener Land – damit hatte die Kundgebung zehnmal mehr Teilnehmer als die für die gleiche Zeit angemeldete Gegendemonstration – ein Riesenerfolg für die im Vorfeld auch öffentlich mit einiger Skepsis bewertete Veranstaltung.
Organisiert und getragen wurde die Kundgebung von einem breiten Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteure – entsprechend thematisch weit gefächert waren die ausgewählten Redebeiträge.
So berichtete Jonas von „Grimma zeigt Kante“, dass es dort nun verstärkt darum gehen soll, eine neue Art von Demokratie in die Stadt zu bringen – um das zu erreichen, habe man mittlerweile auch eine Liste für die kommende Stadtratswahl aufgestellt.
Dr. Viola Hess, Vorsitzende des Joachim Ringelnatz Vereins Wurzen e. V., berichtete von den Bemühungen um den Erhalt des Geburtshauses des berühmten Sohnes der Stadt. „Wenn Ringelnatz noch leben würde“, so Viola Hess, „stünde er jetzt mit uns hier auf dem Markt.“.
Melanie und Martina vom NDK Wurzen mahnten, dass wir eigentlich schon seit 70 Jahren jeden Tag sagen müssten: „Nie wieder ist jetzt!“
Vera vom RosaLinde Leipzig e. V. betonte in ihrem Redebeitrag, dass es vor allem im Bildungsbereich wichtig wäre, queere Themen zu behandeln. Kürzlich seien jedoch vom Land Sachsen die nötigen Fördergelder für Beratungsangebote an Schulen gestrichen worden. Trotzdem bleibt der Verein in der Region aktiv – im Mai soll in Wurzen der erste Christopher-Street-Day stattfinden.
Zwei junge Frauen, die erst seit einigen Jahren in Wurzen leben, berichteten, selber noch keine angstbesetzten Situationen in der Stadt erlebt zu haben. Bei Besuchen in der alten Heimat im Westen würde man aber den deutlichen Unterschied spüren zwischen dem offenen Umgang von Menschen verschiedenster Herkunft miteinander dort und dem ängstlich-vorsichtigen Verhalten zum Beispiel von Geflüchteten hier. Sie wollen trotzdem in Wurzen bleiben und etwas dafür tun, dass man hier gerne leben kann.
Sabine von Fridays for Future berichtete über negative Erfahrungen, die junge, politisch engagierte Menschen in Wurzen machen müssen. Sie forderte dazu auf, laut zu sein und unbequem und sich aktiv mit den bestehenden Problemen auseinanderzusetzen. Man wolle eine Stadt, die nicht nur mit der Klimakrise vernünftig umgeht, sondern in der Demokratie in allen Bereichen gelebt wird und in der junge Menschen leben können und wollen. Das bedeute auch die Wertschätzung von Engagement in allen Bereichen, nicht nur in dem, was in einem offiziellen Gremium oder einer Verwaltung stattfindet.
Pfarrerin Elisabeth Fichtner von der evangelischen Kirchgemeinde sprach von der Verantwortung aller, sich einzusetzen, um die freiheitlich-demokratische Kultur zu bewahren, auch wenn das nicht immer einfach sei und Mut brauche. „Doch heute wird hier im Wurzener Land deutlich: Wir sind nicht allein. Es passiert viel Gutes. Wir können mutig und gestärkt wieder von hier weggehen. Jede und jeder von uns kann etwas tun, heute und morgen.“
Ein treffender, wenn auch unfreiwilliger vorläufiger Schlusspunkt der Veranstaltung – obwohl noch einige weitere Engagierte auf der Rednerliste standen und auch die Liveband von den Wurzener Pfadfindern noch weitere Musikstücke im Repertoire hatte, musste die Kundgebung an dieser Stelle vorzeitig beendet werden, da in einem am Rand des Marktes stehenden Haus ein Brand ausgebrochen war.
Kurz vor dem Brand war eine Detonation zu hören und Lichter wie von einem Feuerwerk zu sehen. Die Brandursache wird derzeit von der Polizei untersucht. Zu einer Sachbeschädigung kam es zudem im Nachgang zu der Gegendemonstration, die über den Domplatz verlief: Hier wurde der Schaukasten am NDK-Gebäude D5 aufgerissen.
Fazit des Wurzeners Thomas Keller, der die Kundgebung angemeldet hatte: “Es war ein wunderbares Gefühl, heute so vielen freundlichen Menschen auf dem Wurzener Marktplatz entgegen zu blicken, die sich für Demokratie und Toleranz in unserer Stadt einsetzen. Das ermutigt mich, uns alle, weiter gegen rechte Umtriebe auf die Straße zu gehen und Gesicht zu zeigen.”