„Wer sich bewegt, kann etwas bewegen”

„Wer sich bewegt, kann etwas bewegen”

Im Mittelpunkt des „Eritreischen Abends 3.0”, der am letzten Samstagabend in der Adventgemeinde Wurzen stattfand, stand die Buchlesung mit Zekarias Kebraeb aus Nürnberg und Marianne Mösle aus Tübingen. Der junge Eritreer las aus ihrem gemeinsamen Buch „Hoffnung im Herzen, Freiheit im Sinn” und über 100 Menschen aus Wurzen, Grimma, Colditz, Bad Lausick und Leipzig hörten ihm sichtlich gerührt zu, unter ihnen viele Geflüchtete aus Eritrea, Libyen und Afghanistan.

Mit 17 Jahren floh Zekarias Kebraeb aus Eritrea, am Roten Meer im Nordosten Afrikas, über den Sudan, Libyen und das Mittelmeer nach Europa – ein Höllentrip, den jedes Jahr unzählige Afrikaner auf sich nehmen. Für Kebraeb haben sich die Strapazen gelohnt: Der heute 33-Jährige ist nach einer 4jährigen Odyssee 2006 in Deutschland angekommen. Für das Buch „Hoffnung im Herzen, Freiheit im Sinn“, das er zusammen mit der Tübinger Journalistin Marianne Mösle schrieb, hat er sich daran erinnert.

Einst galt Eritrea als der Vorzeigestaat Afrikas, doch der 30 Jahre bis 1993 andauernde Unabhängigkeitskrieg mit Äthiopien zermürbten die Bevölkerung, die zudem unter schweren Menschenrechtsverletzungen leidet. Trotz einer sehr überraschenden Annäherung an Äthiopien und einem im Sommer geschlossenen Friedensvertrag gilt das totalitäre System in Eritrea immer noch als das „Nordkorea Afrikas”.

Schlimmer als Unfreiheit und Angst in seiner Heimat war für Zekarias Kebraeb jedoch die Ablehnung, die er nach seiner vier Jahre andauernden Odyssee in Europa erfahren habe. Kurz vor seinem Abitur seien seine Fluchtpläne gereift, so Kebraeb, weil das letzte Jahr in einem Militär-Camp stattfinden sollte und danach ein unbefristeter Militärdienst drohten, der seinen Traum vom Journalistik-Studium begruben. Schon früh verschaffte sich der junge Mann Gehör, schrieb bereits mit 15 Jahren für eine eritreische Jugendzeitung, die auf dem Index stand und deren Journalisten inhaftiert wurden.

Eindrucksvoll schildert Zekarias Kebraeb seine Flucht, die ihn über Khartoum im Sudan und durch die Wüste Libyens zunächst nach Tripolis brachte. Von brennendem Durst, Todesangst und dem Streit mit Gott berichtet der gläubige Christ in seinem Buch, ebenso von der Abgeklärtheit der Schlepper, die ihn wegen Schwäche und Krankheit in der Wüste zum Sterben zurücklassen wollten und Fischerbooten vor der Küste Italiens, die sich weigerten, die im Boot umherdümpelnden Flüchtlinge aufzunehmen.

Über Italien und die Schweiz gelangte der Eritreer schließlich nach Deutschland, wo er mit allen Mitteln gegen Residenzpflicht sowie die Verbote, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Schule zu besuchen, ankämpfte.

„Meine Geschichte ist nicht nur meine Geschichte, sondern die von Tausenden Eritreern“, sagte Kebraeb, der sein Buch zuerst in der eritreischen Landessprache „Tigrinya“ schreiben wollte. „Aber warum? Die Menschen in Eritrea wissen doch, was Flucht heißt“, begründet Kebraeb seine Entscheidung für die deutsche Sprache.

Heute lebt Zekarias Kebraeb, der mit der Veröffentlichung des Buches seine Aufenthaltserlaubnis zugesprochen bekam, in der Nähe von Nürnberg und unterstützt mit Radiosendungen und selbstständig produzierten TV-Sendungen im Internet die Opposition in Eritrea.

Gestartet war der Abend mit einem Rückblick auf drei Jahre Flüchtlingssozialarbeit  mit eritreischen Geflüchteten in Wurzen und Umgebung. Durch die anspruchsvolle Kreativeinheit mit Frau M. Dienelt aus Grimma, bei der ein Schlüsselanhänger in den Nationalfarben Eritreas entstand (siehe Foto), war das Eis zwischen allen Gästen schnell gebrochen.

Musikalisch eingebettet wurde die Buchlesung von „Wontanara” aus Leipzig, einer multikulturellen Musikgruppe, die mit ihren Rhythmen begeisterte. Und das traditionelle Eritreische Buffet, das von Filimon Tesfamariam und seinem Team aus Wurzen liebevoll vorbereitet worden war und allen vorzüglich mundete, war mit ein Höhepunkt des Abends.

Nach der Lesung gab es einen regen Meinungs- und Gedankenaustausch, der wieder einmal mehr deutlich machte, wie wichtig und wertvoll es für alle Beteiligten ist, wenn sie einander ihre Geschichten erzählen und zuhören können. So kann Integration gelingen, wenn wir hautnah erfahren, welche Bereicherung der andere für mich werden kann.

Zum Abschluss signierte Zekarias Kebraeb noch auf Wunsch vieler sein Buch mit einem Satz in Anlehnung an ein Zitat von Ralf S. Kassemeier: „Wer sich bewegt, kann etwas bewegen.” Dieser bewegende Abend wird jedem, der sich auf ihn einlassen konnte, in motivierender Erinnerung bleiben.

Gast-Autor: J. Wietrichowski, Fotos: H.-J. Grellmann (2018)

Hinweis: Träger des „Eritreischen Abends 3.0” ist die Adventgemeinde Wurzen mit ihrem Projekt „Gemeinsam für Flüchtlinge”, gefördert durch den Freistaat Sachsen im Rahmen des Landesprogramms „Integrative Maßnahmen”.