Es scheint in Wurzen nur einen Platz zum Demonstrieren zu geben, so zumindest muss man die Entscheidung des Landratsamtes wohl werten, am heutigen Nachmittag und Abend zwei sehr gegensätzliche Veranstaltungen zeitgleich am selben Ort stattfinden zu lassen.
Auf der einen Seite junge Menschen, die sich „gegen vernunftfreie Corona-Demos“ wie letzte Woche auf dem Wurzener Markt zu erleben, einsetzen wollen. Laut Pressemeldung der Wurzener Ortsgruppe von Fridays for Future wurden dort „faktenferne bis hin zu demokratiefeindliche Thesen vertreten. Dies ist besonders am achten Mai schlichtweg geschmacklos.“
Weiterhin stelle der Plan der Organisierenden, diese Demonstrationen regelmäßig fortzuführen, ein anwachsendes Gesundheitsrisiko dar. Schon bei der ersten Kundgebung sei sich nicht an bestehende Infektionsschutzmaßnahmen gehalten worden. Man sehe deshalb Handlungsbedarf.
„Ich beobachtete wie die Demonstrierenden weder Schutzmasken trugen, noch sich an den Sicherheitsabstand hielten. Wie sicher fast alle, habe ich in meinem engen Familienkreis auch Menschen aus Risikogruppen, beim Anblick dieser Versammlung kamen bei mir Wut und Angst hoch. Wofür hatten sich die Menschen wochenlang Quarantäne ausgesetzt?“ sagt die 17-jährige Schülerin Emma.
Die lokale Initiative FridaysForFuture Wurzen habe sich deshalb entschieden, einzuschreiten. Um der Situation und dem Anliegen gerecht zu werden, sollte die Menge an Teilnehmer*innen kleiner und der Versammlungsort groß sein. Bewusst haben die jungen Leute als Veranstaltungsort den Wurzener Marktplatz ausgewählt und ihre Anmeldung nachweislich auch zuerst beim Landratsamt eingereicht.
„Wir haben uns dazu entschlossen, keine klassische Demonstration durchzuführen. Diese wäre an sich ja auch ein Gesundheitsrisiko und somit kontraproduktiv. Stattdessen wird der Markt für diesen Tag mit einer Kunstinstallation, von uns konzipiert, belegt. Wir wollen unsere Sichtweise klarstellen und eine Alternative zu populistischen Meinungen aufzeigen.“, erklärt der 18-jährige Matti.
Sabine (Studentin) beschreibt: „Die Installation besteht aus einem großen Plakat mit unserem Kernanliegen: Klimagerechtigkeit, darin inbegriffen auch die Gesundheit von Menschen in Krisenzeiten. Hier gilt nach wie vor die Message ‘listen to the science’, welche die Teilnehmer*innen der Corona-Demos wohl kaum begreifen.
Rund herum sind Symbole für Kinder und die künftigen Generationen zu finden. Zwischen Kreide und Kuscheltieren entdeckt man auch Schulranzen. Passant*innen sollen so begreifen, dass ALLE Krisen die folgenden Generationen betreffen, und auch die Versäumnisse und verantwortungsloses Verhalten beim Angehen dieser.”
Ob die so konzipierte Veranstaltung allerdings in dieser Form ablaufen kann, ist fraglich, denn inzwischen hat das für die Genehmigung zuständige Landratsamt am gleichen Ort zeitgleich eine weitere Versammlung auf dem Wurzener Markt genehmigt – eine Corona-Demo ähnlich der am vergangenen Freitag.
Wie aus der Verwaltung zu erfahren war, hat die Stadt Wurzen bereits bei Kenntnis dieser Überschneidung Bedenken gegenüber der Versammlungsbehörde im Landratsamt angemeldet und auch darauf verwiesen, dass FFF die Veranstaltung eher angemeldet habe. Der Landkreis sei nach Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass beide Veranstaltungen auf dem Markt stattfinden können, es habe keiner der beiden Veranstalter auf einen anderen Platz ausweichen wollen.
Dass hinsichtlich des Hygieneschutzes laut Landratsamt mehr Polizei als in der vergangenen Woche geordert worden sei, dürfte ein schwacher Trost sein, immerhin wurde nach Augenzeugenberichten damals gegen die offensichtlichen Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung seitens der Polizei nicht eingeschritten.
Wurzens Oberbürgermeister Jörg Röglin hält „die orts- und teilweise zeitgleiche Veranstaltung FFF und „Corona-Gegner“ für kritisch“. Auch deshalb weil die Veranstaltung der „Corona-Gegner“ in der vergangenen Woche von einer eher aufgeheizten Stimmung gekennzeichnet gewesen sei.
Eine stichhaltige Begründung dafür, dass die zeitlich später angemeldete Veranstaltung unbedingt ebenfalls auf dem Markt stattfinden muss, wurde seitens des Landratsamtes bis dato nicht genannt, und das, obwohl die Jugendlichen im Vorfeld deutliche Bedenken und auch Ängste vor Übergriffen geäußert haben. Laut LRA sei die Gesamtlage in alle Überlegungen mit einbezogen worden, die erfolgten Beschränkungen erfolgten in Abstimmung mit der Polizei.
Offenbar nimmt man billigend in Kauf, dass ggf. Kinder und Jugendliche, die sich bewusst und trotz Befürchtungen für einen kulturvollen Umgang miteinander in ihrer Stadt einsetzen wollen, sich eventuell auch gewalttätigen Übergriffen seitens der „Corona-Gegner“ ausgesetzt sehen.
Die Veranstaltung der Jugendlichen beginnt um ca. 16:00 Uhr, für 18:30 Uhr ist die Versammlung der „Corona-Gegner“ angemeldet.