Überholverbot erhitzt die Gemüter – Ortstermin soll Klarheit bringen

Überholverbot erhitzt die Gemüter – Ortstermin soll Klarheit bringen

„Durch Aufstellung des Verkehrszeichens wird der flüssige Verkehr auf der S42 verhindert.“ – mit dieser erstaunlichen Begründung lehnte die Untere Verkehrsbehörde der Stadt Wurzen im Einvernehmen mit der Polizeidirektion Leipzig, dem Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV) und der Straßenmeisterei Wurzen mit Schreiben vom 19. Mai 2020 das Ansinnen der Bürgerinitiative Radweg S42 ab, zur Verdeutlichung der neuen Rechtslage das in der kürzlich in Kraft getretenen Novelle der StVO vorgesehene Schild „Verbot des Überholens von einspurigen Fahrzeugen“ an der Straße zwischen Kühren und Sachsendorf aufzustellen.

Die Verkehrsbelastung der S42 sei vergleichsweise gering, es seien keine Gefahrenstellen vorhanden. Weiter heißt es: „Die neue StVO sagt aus, dass ein Mindestabstand außerorts von mindestens 2 m einzuhalten ist. Jedem Kraftfahrzeugführer muss bewusst sein, dass man auf der S42 einen Radfahrer nicht überholen darf.“

Erstaunlich ist diese ablehnende Haltung der Wurzener Stadtverwaltung vor allem deshalb, weil hier noch vor einem Jahr ganz anders argumentiert wurde. Oberbürgermeister Jörg Röglin hatte damals, um der offensichtlichen Gefahrensituation für Radfahrer auf der S42 zu begegnen, den zuständigen sächsischen Verkehrsminister Martin Dulig aufgefordert, sich der Sache anzunehmen. Dieser hatte daraufhin vorgeschlagen, ein vom ADFC entwickeltes Hinweisschild aufzustellen, das auf den einzuhaltenden Mindestabstand beim Überholen von Radfahrern aufmerksam machen sollte. Obwohl sich die Stadt, zumindest auf dem Papier, für die Umsetzung dieses Vorschlags stark gemacht hatte, war dies seitens des für die Genehmigung zuständigen LASuV Leipzig jedoch abgelehnt worden, damals mit der Begründung, dass der Mindest-Überholabstand in der StVO nicht festgeschrieben sei.

Dass indes eine Verlangsamung des Verkehrsflusses auf der S42 unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht zu vermeiden ist, dürfte – mit oder ohne Schild – jedem klar sein. Der unzureichende Ausbauzustand der Straße, die nur 4,80 m breit ist, verhindert ein gefahrloses Überholen von Fahrrädern, sodass jeder Lkw- und Lieferwagenfahrer, der sich an die aktuellen Verkehrsregeln hält, zwangsläufig in deren Tempo hinter den die Straße nutzenden Fahrrädern herfahren muss. Dass die Untere Verkehrsbehörde allen Ernstes davon ausgeht, dass ohne Überholverbotsschild der Verkehrsfluss in der bisherigen Schnelligkeit erhalten bleibt, würde insofern bedeuten, dass man erwartet, dass sich die Kraftfahrer dann eben nicht an die Regeln halten.

Antwort auf die vielen offenen Fragen soll nun ein von der Wurzener Stadtverwaltung anberaumter Ortstermin am 06. Juli bringen, zu dem unter anderem Vertreter der Stadt Wurzen, der unteren Verkehrsbehörde, der Straßenmeisterei, der Polizei, des LASuV und des Ortschaftsrates Kühren-Burkartshain geladen sind. Die Vertreter der Bürgerinitiative erhoffen sich hier unter anderem auch rechtssichere Auskünfte dazu, wo genau an der S42 geeignete Stellen sind, an denen Radnutzer entsprechend der Vorgaben in der StVO gefahrlos anhalten und nachfolgenden schnelleren Fahrzeugen das Vorbeifahren ermöglichen können. Dies ist insofern schwierig, da Radfahrer Gefahr laufen, einen eventuell entstehenden Unfallschaden von ihrer Unfallversicherung nicht reguliert zu bekommen, falls der unbefestigte Rand der S42 eben nicht als „geeignete Stelle“ im Sinne der StVO angesehen wird.

Dass auf der S42 überhaupt Lkw-Verkehr herrscht, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen fungiert die Staatsstraße zwischen Kühren und Wermsdorf als Autobahnzubringer zur A14-Auffahrt Mutzschen. Entsprechend dieser Anforderungen wurde die S42 vor einigen Jahren auch ausgebaut – allerdings nur der Abschnitt zwischen Sachsendorf und Wermsdorf, der auf dem Wurzener Stadtgebiet verlaufende Streckenabschnitt Kühren-Sachsendorf blieb außen vor.

Zum zweiten sorgt die Sachsendorfer Sandgrube für zusätzliches Lkw-Aufkommen, welches regelmäßig stark ansteigt, wenn dort größere Aufträge anfallen, zuletzt war dies im Rahmen des Ausbaus des Verkehrskreisels an der B6-Kreuzung Birkenhof der Fall. Ursprünglich hatten die Planer und Genehmiger des Sandabbaus daher auch vorgesehen, den Lkw-Verkehr über einen auszubauenden Feldweg von der S42 weg und um die Ortschaft Streuben herum auf die B6 zu leiten, was allerdings nicht in die Tat umgesetzt wurde. In den nächsten zwei Jahren muss infolge der im Sommer beginnenden Ausbauarbeiten der B6-Ortsdurchfahrt Kühren erneut mit einem massiven Anstieg des Lkw-Verkehrs gerechnet werden.

Die S42 ist für die rund 500 Einwohner von Sachsendorf, Wäldgen und Streuben die einzige Verbindung in den zentralen Ort Kühren, wo sowohl Grundschule und Kita als auch Einkaufsmöglichkeiten, Dienstleistungsangebote und Bahnanbindung zu erreichen sind. Zudem ist der Streckenabschnitt zwischen Kühren und Streuben Teil der überregionalen Radverbindung Wurzen-Oschatz und als solcher in der Radwegeplanung des Landkreises Leipzig verzeichnet. Trotz jahrelangen Einsatzes der Betroffenen für eine sichere Radverbindung sehen die zuständigen Behörden jedoch bislang keine Priorität für einen normgerechten Ausbau der S42 oder die Anlage eines straßenbegleitenden Radweges.