Ehrung von Dr. Armin Graebert wirft Fragen auf

Ehrung von Dr. Armin Graebert wirft Fragen auf

Den Stadtrat hat der von der CDU-Fraktion eingebrachte Antrag zur Würdigung der Verdienste von Dr. Armin Graebert, Otto Schunke und Kurt Krause am vergangenen Dienstag passiert, mit zwei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen wurde er mehrheitlich angenommen. Entsprechend sollen, sobald in der Kernstadt Wurzen Straßen neu- oder umbenannt werden, diese die Namen der genannten Personen erhalten. Ob man sich und vor allem dem Ansehen der Stadt damit tatsächlich einen Gefallen getan hat, bleibt jedoch abzuwarten, denn bis der Beschluss in die Tat umgesetzt wird, werden sich wohl nicht nur in Wurzen kritische Stimmen vor allem mit der Person von Dr. Armin Graebert beschäftigen.

Erste Zweifel am Wahrheitsgehalt der von Fraktionschef Matthias Rieder (CDU) vorgebrachten Begründungen für die Ehrung von Dr. Armin Graebert wurden bereits im Zuge der Diskussion im Stadtrat deutlich. So heißt es in der Beschlussbegründung beispielsweise: „Im entscheidenden Kriegsmonat April 1945 führte er die Kapitulationsverhandlungen und bewahrte Wurzen und seine Bürger unter Einsatz seines Lebens vor Tod, Leid und Zerstörung. Am Vorabend des 24. April 1945 verließen die Funktionäre der NSDAP die Stadt fluchtartig. Der vormalige Kampfkommandant hatte dem fordernden Drängen Oberbürgermeister Dr. Graeberts nachgegeben, die Stadt zur Lazarettstadt zu erklären und gemeinsam Verhandlungen mit den Amerikanern anzubahnen, doch dazu kam es nicht. Erst mit dessen Abgang war der Weg frei für Dr. Graebert, seine Entscheidung zu treffen.“

Im in der Beschlussbegründung als Quelle angegebenen Buch von Heinz Gey, „Wurzens Schicksalstage“, das auch eigene Aufzeichnungen von Dr. Graebert enthält, liest sich das Ganze allerdings etwas anders: In seinen „Notizen für spätere Aufzeichnungen” schreibt Dr. Graebert:

Ich hatte durch die Vermittlung des Stabsarztes Dr. Däsbach noch ein Schreiben des Kampfkommandanten erwirkt, nach dem die Stadt zur Lazarettstadt erklärt wurde: „Jede kriegerische Handlung hat in der Stadt Wurzen zu unterbleiben. Panzersperren dürfen nicht errichtet werden bzw. schon bestehende nicht geschlossen werden. Oberfeldarzt Dr. Warsow wird ermächtigt, gemeinsam mit dem Oberbürgermeister Übergabeverhandlungen zu führen.“ Das Schreiben trug die Überschrift: Befehl des Kampfkommandanten.

Wie Stadträtin Martina Schmerler (SPD) in der Diskussion zum Ausdruck brachte, ist es schon ein Unterschied, ob man, wie die Beschlussbegründung es nahe legt, aus eigenem Entschluss unter Lebensgefahr  in eine Verhandlung geht oder mit dem ausdrücklichen Befehl eines Kampfkommandanten in der Tasche, dessen Missachtung unter Umständen den eigenen Tod zur Folge gehabt hätte.

Doch die eigentliche Kritik an der Person von Dr. Armin Graebert richtet sich gegen seine Vergangenheit als NSDAP-Mitglied. In der von Matthias Rieder vorgelegten Begründung des CDU-Antrages heißt es dazu unter anderem:

 „Wenn über Dr. Armin Graebert behauptet wird, er sei an der Verfolgung jüdischer Menschen in Wurzen im Jahre 1938 beteiligt gewesen, so ist dies nachweislich falsch. Ehe er nämlich im Juli 1939 Oberbürgermeister wurde, lebte und amtierte er seit 1937 als Kämmerer in Weimar.“

Lässt man in diesem Text den Bezug ausdrücklich auf Wurzen jedoch weg, liest sich das Ganze plötzlich anders. Genau in die Zeit seiner Amtstätigkeit als Kämmerer und somit hoher Stadtbeamter in Weimar fällt nämlich die Einrichtung des der Stadt unmittelbar benachbarten Konzentrationslagers Buchenwald ab Juli 1937. In einem Bericht des MDR vom 15.07.2017 heißt es dazu:

„Von Anfang an wird die Stadt Weimar in den Aufbau des Konzentrationslagers einbezogen. Zwar wurde sie nicht gefragt, ob sie ein KZ zum Nachbarn haben will – darauf legen die Weimarer bis heute Wert. Sie fügen sich 1937 aber bereitwillig in ihr Schicksal. In den Folgejahren trägt die Stadt – sowohl die städtischen Behörden als auch die Einwohnerschaft – das Lager mit, hilft, wo es nötig ist und profitiert auch von seiner Nähe. Es kommt zu einer eigenartigen Symbiose.“

Zu bewerten ist in diesem Zusammenhang auch noch eine andere Frage: In den Einwohnerlisten von Wurzen aus dem Jahr 1940 findet sich ein Eintrag für Dr. Armin Graebert, Oberbürgermeister, wohnhaft Gartenstraße 3. In der gleichen Liste erscheint unter der Adresse Fischerstraße 3 (heute Heinrich-Heine-Straße) die jüdische Familie Luchtenstein. Hugo und Hedwig Luchtenstein wurden später deportiert und starben 1942 im Lubliner Ghetto. In einem am 23.04.2019 in der Muldentalzeitung veröffentlichten Beitrag von Wulf Skaun, in dem Hans-Adolf Graebert, der Sohn von Dr. Armin Graebert, über Otto Schunke berichtet, heißt es:

„Nach dem Einmarsch der Amerikaner am 24. April 1945 lernte Graebert junior ihn auch persönlich kennen. „Er kam zu uns nach Hause in die Heinrich-Heine-Straße 3. Mein Vater durfte Erlasse nicht allein unterschreiben. Der damalige Sozialdemokrat Otto Schunke musste gegenzeichnen. Ich war 16 …“

Das bedeutet, nach den Angaben seines Sohnes hat Dr. Armin Graebert im April 1945 nicht mehr in der Gartenstraße, sondern stattdessen in dem Haus gewohnt, aus dem zuvor die jüdische Familie Luchtenstein vertrieben und deportiert wurde und vor dem im Jahr 2013 Stolpersteine zum Gedenken an diese Opfer der Nazi-Verbrechen verlegt worden sind.

Ob, wie es in der Beschlussbegründung heißt, Dr. Armin Graebert „kein Nazi im Sinne der faschistischen Ideologie“ gewesen ist, muss wohl eine subjektive Beurteilung bleiben. Fest steht, dass er innerhalb des Systems des Nationalsozialismus über viele Jahre eine Karriere als Kommunalpolitiker gemacht hat, die ohne die Mitgliedschaft in der NSDAP und die dafür nötige Geisteshaltung nicht möglich gewesen wäre.

In diesem Sinne muss auch die in der Beschlussbegründung vorgebrachte Behauptung einer kritischen Prüfung unterzogen werden, Dr. Armin Graebert sei im Nachhinein von den russischen Behörden „vollständig rehabilitiert“ und „von allen Vorwürfen freigesprochen“ worden. Heinz Gey schreibt in seinem als Quelle angegebenen Werk dazu:

Dr. Armin Graebert und sein Sohn Hans-Adolf wurden am 15.03.1996 von deutschen Behörden als Nicht-Verurteilte auf der Grundlage des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland in Gewahrsam genommen wurden (Häftlingsgesetz HHG § 10, Abs. 4) rehabilitiert.

Nach sowjetischem Recht und auch nach dem Recht der heutigen Russischen Föderation kann eine Person nur rehabilitiert werden, wenn sie durch ein sowjetisches Militärtribunal verurteilt wurde.

Das von deutschen Behörden durchgeführte Rehabilitationsverfahren beweist die Inhaftierung Armin Graeberts und seines Sohnes Hans-Adolf ohne erwiesene Schuld.

Nach dieser Formulierung beruht die Rehabilitation also nicht, wie der Beschlusstext suggeriert, auf einer erwiesenen Unschuld von Herrn Dr. Graebert, da eine mögliche Schuld gar nicht untersucht oder verhandelt wurde, sondern lediglich auf der Tatsache, dass dieser ohne Prozess und Verurteilung und damit unrechtmäßig inhaftiert worden ist.

Zuletzt entspricht auch das Schlusswort unter der Begründung des Antrags: „Eine offizielle Ehrung von Dr. Armin Graebert durch die Stadt Wurzen hat es nie gegeben.“ nicht den Tatsachen. Am Stadthaus hängt seit 1995 links neben der Eingangstür, für jeden Bürger und Besucher sichtbar, eine Tafel, auf der daran erinnert wird, dass am 24. April 1945 in diesem Hause Oberbürgermeister Dr. Armin Graebert gegenüber Major Conley die Kapitulation Wurzens vollzog. „Damit wurden Einwohner, Flüchtlinge, Kriegsverwundete und Zwangsarbeiter vor dem Tode sowie die Stadt vor der Zerstörung bewahrt.“

Man hätte es dabei belassen können.

 

Quellen:

Heinz Gey: Wurzens Schicksalstage – Die letzten Kriegstage in Wurzen, Druckerei Bode GmbH

https://www.mdr.de/zeitreise/kz-buchenwald-und-weimar100.html

www.adressbücher.sachsendigital.de

Wulf Skaun: Muldentalzeitung 23.04.2019 – Heimatgeschichte – Plädoyer für einen unvergessenen Helden von Wurzen