Manchmal nehmen es politische Mandatsträger mit der Wahrheit nicht so genau, manchmal wird, um ein politisches Ziel zu erreichen, die Wahrheit auch mal gedehnt und gestreckt, um den eigenen Standpunkt und die eigenen Argumente in ein besseres Licht zu rücken. Manchmal muten Ratssitzungen deshalb, vor allem, wenn man ihnen als Zuschauer beiwohnt, auch fast wie politisches Kabarett an und haben, zumindest wenn es nicht gerade um existenzielle Fragen geht, durchaus auch einen gewissen Unterhaltungswert.
Anders sieht es aus, wenn gewählte Mandatsträger durch bewusste Täuschung versuchen, ihre Ratskollegen in ihrer Entscheidung zu beeinflussen – wie dies jüngst im Rahmen der Diskussion um die städtische Bürgschaft für den Kauf der Wärmeversorgung Wurzen durch die Wurzener Land-Werke offenbar geschehen ist.
Bereits in der ersten Diskussionsrunde zum Thema im Verwaltungsausschuss am 07.10.2019 hatte Stadtrat Lars Vogel vom „Neuen Forum für Wurzen“ seine Ausschusskollegen unter anderem mit der Information überrascht, der Geschäftsführer der Wurzener Land-Werke, Herr Dr. Norbert Vornehm, habe während seiner Amtszeit als Oberbürgermeister der Stadt Gera die Geraer Stadtwerke in die Insolvenz getrieben.
Obwohl Herr Dr. Vornehm als unmittelbare Reaktion darauf Herrn Vogel ein persönliches Gespräch zur Klärung angeboten hatte, machte dieser, wie Herr Dr. Vornehm auf Anfrage bestätigte, davon keinen Gebrauch und verkündete stattdessen im Stadtrat vom 29.10.2019 laut Protokoll der Sitzung, Herr Dr. Vornehm „…sei 2012 als OBM von Gera gnadenlos abgewählt worden, denn unter seiner Regie sind die Geraer Stadtwerke und auch die Geraer Verkehrsbetriebe insolvent geworden. Er habe dort auch eine Stadtwerke-Holding gegründet, genau wie die Wurzener Land-Werke …“
Bereits eine einfache Recherche zum Thema hätte ergeben, dass die Insolvenz der Geraer Stadtwerke erst im Juni 2014 stattfand, als Herr Dr. Vornehm bereits nicht mehr OBM von Gera war. Und auch bei einer intensiveren Recherche, wie von uns durchgeführt, konnte kein einziges zur Insolvenz der Geraer Stadtwerke veröffentlichtes Dokument gefunden werden, in dem Herr Dr. Vornehm auch nur erwähnt wurde. Der Bitte unserer Redaktion an das NFW, eventuell von uns übersehene Quellen für diese Behauptung mitzuteilen, wurde leider bis dato nicht nachgekommen.
Es ist anzunehmen, dass hier eine Person gezielt diffamiert und unglaubwürdig gemacht werden sollte, die für die Entscheidung der Stadträte zum Thema eine wichtige Rolle spielte. Kritisch ist dies auch deshalb zu sehen, weil Herr Dr. Vornehm in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Wurzener Land-Werke diese im Auftrag der vier Kommunen des Wurzener Landes im Geschäftsleben repräsentiert und somit nicht nur er selbst von solchen Angriffen auf seine Glaubwürdigkeit betroffen ist.
Auch das Finanzgebaren des „Neuen Forum für Wurzen“ lässt viele Fragen offen. Auf den Vorschlag, mit gutem Beispiel voranzugehen und offenzulegen, welche Summen von welchen Spendern für den Wahlkampf 2019 im Spendentopf des NFW gelandet sind, reagierte dessen Spitzenkandidat Christoph Mike Dietel zunächst mit dem Ausspruch, keine Geheimnisse zu haben, ließ dem jedoch keineswegs Taten folgen. Vielmehr wurde unsere Redaktion zu einem Pressegespräch eingeladen, bei dem man hätte einzelne Spender persönlich kennenlernen sollen. Erstaunlicherweise enthielt die Einladung den Zusatz „wenn Sie den Mut haben“, was bisher noch bei keinem Pressegespräch vonnöten gewesen ist. Recht eindeutig interpretierbar war die Formulierung dann etwas später mit den Worten: „… Ihnen ihr garstiges Mundwerk ggf. von einem stilllegen zu lassen …“.
Weshalb die Finanzen des NFW augenscheinlich eben doch nicht an die Öffentlichkeit sollen, kann nur spekuliert werden. Immerhin hatte Herr Dietel sich vor der Wahl an seine Anhänger gewandt mit der Bitte um Spenden, obwohl seine Wählervereinigung vom Finanzamt nicht als gemeinnütziger Verein anerkannt worden sei, er dementsprechend auch keine Spendenbescheinigungen ausstellen dürfe. Da ein großer Teil der Kandidaten des NFW als Beruf „selbstständig“ angegeben hat, könnte man sich durchaus fragen, durch welche Bücher zumindest ein Teil dieser Gelder letztendlich gegangen sind. Aufklärung würde hier nur eine lückenlose Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben im Wahlkampf des NFW bringen, zu der Herr Dietel jedoch trotz nochmaliger Anfrage unserer Redaktion bis dato nicht bereit ist.
Auch wenn die Fragen zu Persönlichkeitsrechten oder Finanzen für die meisten Wurzener wohl eher nebensächlich sind: Kritisch werden die Folgen für die Bürgerschaft spätestens dann, wenn es zur Regel wird, dass gezielt nicht auf Tatsachen beruhende, diffamierende „Informationen“ über Personen öffentlich gemacht werden, die mit der Stadt zusammenarbeiten oder auf andere Art in Ratsbeschlüsse involviert sind. Dadurch ist die Stadt gezwungen, derartige Tagesordnungspunkte zum Schutz dieser Personen eben nicht mehr, wie bisher, bürgerfreundlich öffentlich zu behandeln, sondern muss dies künftig immer öfter im nichtöffentlichen Rahmen tun.
Kritisch wird es auch, wenn bei den Bürgern der Eindruck erweckt wird, die Verwaltung handle selbstherrlich und ohne Einbeziehung der Räte, weil sie z. B., wie jüngst gegenüber den jungen Aktivisten von „Fridays for Future“ vorgebracht, keine Stadtratsentscheidung darüber herbeiführt, ob und wie oft eine bestimmte Wiese künftig gemäht wird. Dass für derartige Entscheidungen der laufenden Verwaltung keineswegs die Stadträte zuständig sind, sollte auch Neulingen in der Stadtratsarbeit nach einem halben Jahr im Ehrenamt schon klar sein.
Und nicht zuletzt bleibt es nach einem halben Jahr Stadtratsarbeit des „Neuen Forum für Wurzen“ fraglich, wie sich dessen Vertreter eine sach- und ergebnisorientierte Ratsarbeit überhaupt vorstellen, wenn sie einen Menschen mit derart schlechter Kinderstube als Sprecher etablieren. Man kann von einem gestandenen Stadtrat nicht erwarten, dass er bereit ist, sich mit einem Mann zur konstruktiven Sacharbeit an einen Tisch zu setzen, der ihn andernorts öffentlich als „dummes Schwein“ betitelt. Anzunehmen ist, dass es Herrn Dietel weniger um Sacharbeit geht als vielmehr darum, sich bei seinen Anhängern als Opfer zu präsentieren, dessen brillante Vorschläge von den anderen Räten permanent missachtet und schlechtgeredet werden. Die Folge ist, dass Kräfte und Ressourcen aller Beteiligten für Auseinandersetzungen untereinander gebunden werden, die eigentlich dafür eingesetzt werden sollten, Sacharbeit zum Wohle der Stadt zu leisten.