Circus Alexander – die andere Seite

Circus Alexander – die andere Seite

Viele Wurzener, einfache Bürger, Händler, Landwirte und Gewerbetreibende haben in den letzten vier Monaten Geld und Sachleistungen gespendet, um dem auf dem Festplatz gestrandeten Circus Alexander zu helfen, der durch die Corona-Pandemie an der Weiterreise gehindert wurde. Auch Menschen, die selbst nicht viel haben, gaben gerne von ihrem Wenigen noch etwas ab, immerhin hatten die Zirkusleute nach eigenen Angaben nach dem misslungenen Saisonstart in Wurzen nicht einmal mehr Geld, um für sich und ihre Kinder Nahrungsmittel einzukaufen, geschweige denn Futter für die Tiere.

Bis dato schien die Spendenbereitschaft für den Zirkus ungebrochen, doch mittlerweile melden sich, ausgelöst durch einen „offenen Brief“, in welchem man sich über die „immer wiederkehrenden behördlichen Auflagen, unzähligen Vorwürfe und wegen der anhaltenden Behauptungen uns gegenüber“ beschwert, auch kritische Stimmen zu Wort.

Eine davon kommt von Ingo Wollny, der als Mitarbeiter der Bernburger Theater- und Veranstaltungs GmbH für das dortige Kurhaus verantwortlich zeichnet. Im November 2019 hat er eine Veranstaltung des „Dinoland“ betreut, für die nach seinen Angaben Vivian Freiwald als Ansprechpartnerin fungierte. „Das sind Dinosaurier-Nachbildungen zum Klettern, Hüpfburgen und so was. Es waren sehr nette Leute, die hatten sogar ein kleines Kind dabei und wir haben mit ihnen, weil sie so wenig Geld hatten, auch einen sehr guten Preis verhandelt und vieles möglich gemacht, damit alles gut ablaufen konnte. Es war eine sehr gut besuchte Veranstaltung, auch mit Verkauf von Getränken, und an allen beiden Tagen war das Haus voll, die haben richtig gute Geschäfte gemacht“, erzählt Ingo Wollny.

Misstrauisch sei man dann geworden, als beim Abbau der Spiellandschaft, als es ans Bezahlen der vereinbarten Kosten für Miete und Technik gehen sollte, keiner von den Chefs mehr da war. „Zwei der Angestellten haben die letzten Dinge eingepackt und gemeint, sie müssten ganz schnell abfahren und hätten keine Zeit mehr, die Vivian würde dann kommen und bezahlen. Telefonisch erklärte diese dann, sie stünde im Stau und käme gleich.“

Gekommen ist sie bis dato jedoch nicht, stattdessen sah Ingo Wollny sie dann im MDR bei einem Bericht über den gestrandeten Circus Alexander in Wurzen wieder. Die daraufhin informierte Wurzener Stadtverwaltung sprach das Thema bei einem Gespräch mit Vivian Freiwald und Gino Lauenburger im April an, die jedoch, wie der damaligen Pressemeldung der Stadt zu entnehmen ist, behaupteten, die Sache in Bernburg betreffe einen Cousin, sie und der Zirkus hätten damit nichts zu tun.

Dass das offenbar die Unwahrheit war, geht nicht nur aus den namentlichen Schilderungen von Ingo Wollny hervor, der beide in dem MDR-Beitrag wiedererkannte, sondern auch aus einer Mail, die der Zirkus am 13.03.2020 an den Wurzener Oberbürgermeister schickte (eine Kopie der Antwort hat unsere Redaktion damals vonseiten des Zirkus erhalten) – unter der Mailadresse schantalefrank@gmail.com mit der Unterschrift Familie Lauenburger, zz. Festplatz Wurzen. Der Vertrag, den Ingo Wollny im November mit den Akteuren des „Dinoland“ abschloss, lautete auf den Namen Frank Schantale in Delitzsch – der an diese Adresse geschickte Vertrag war allerdings angeblich nicht angekommen, Rechnung und Mahnungen hatten keinen Erfolg. Laut Ingo Wollny erwägt die Bernburger Theater- und Veranstaltungs GmbH nun, eine Anzeige wegen Betrugs zu stellen.

Letzten Aufschluss bietet der Pressebericht einer Veranstaltung des „Dinolandes“  im August 2019 auf dem Zwickauer Flughafengelände – auf dem Pressefoto posieren Vivian Freiwald und Gino Lauenburger, der als „Chef des Dinolandes, der unzählige Informationen parat hat und sich darauf freut, von den Besuchern buchstäblich gelöchert zu werden“ beschrieben wird.

Neben dem zweiten Standbein „Dinoland“ scheint generell das Sammeln von Spenden eine wichtige Einnahmequelle von Familie Lauenburger zu sein – groß angelegte Spendenaufrufe über die Presse, wie hier in Wurzen, hat die Not leidende Zirkusmannschaft bereits des Öfteren initiiert:

Im Januar 2017 wandte sich der Circus Alexander an die Märkische Allgemeine Zeitung in Potsdam mit der Bitte, das existenzbedrohte Familienunternehmen zu unterstützen. Grund sei ein Raubüberfall auf einen ihrer Wohnwagen, bei dem eine hohe Summe Bargeld – alle Ersparnisse und Einnahmen der letzten Tage – sowie Schmuck, Kostüme, wichtige Unterlagen und Papiere für die 20 Tiere geraubt worden seien, der Schaden liege im fünfstelligen Bereich. Einer der Täter, südländisch aussehend, sei von einem der Mitarbeiter überrascht worden, habe diesen niedergeschlagen und sei mit einem wartenden Audi, in dem noch zwei weitere Mittäter saßen, geflüchtet.

Dem damaligen Zeugenaufruf der Potsdamer Polizei ist zu entnehmen, dass der angegriffene Zirkusmitarbeiter bis auf Rötungen im Gesicht keine Verletzungen aufwies und sich auch nicht ärztlich untersuchen oder behandeln lassen wollte. Dass eine so große Summe und sogar sämtliche Ersparnisse des Unternehmens offenbar gewohnheitsmäßig unbeaufsichtigt in einem Wohnwagen gelagert wurden, der frei zugänglich auf einem öffentlichen Gelände stand, wurde damit begründet, dass der Zirkus praktisch von der Hand in den Mund lebe und eingenommenes Geld nicht zur Bank bringe.

Bereits ein Jahr später traf den Zirkus ein neuerliches Unglück: Sturm Friederike schmiss in Naumburg eine Pappel auf einen der Wohnwagen der Zirkustruppe, der dadurch vollständig zerstört wurde. Wiederum wandte man sich an die Presse, diesmal an Constanze Matthes vom Naumburger Tageblatt, um einen groß angelegten Spendenaufruf zu starten – da man noch nicht wisse, ob es Leistungen der Versicherung gebe, sei das Unternehmen erneut existenzgefährdet, zumal man sich von dem Raubüberfall aus dem vergangenen Jahr bis dato nicht erholt hätte. Betroffen sei eine Familie mit einem Kleinkind, zudem sei das Tierzelt in Mitleidenschaft gezogen und irreparabel.

Am erfolgreichsten dürfte die Spendensammlung anlässlich der Corona-Krise in Wurzen gewesen sein, immerhin wurde hier sehr öffentlich darüber berichtet, wer wie viel zum Unterhalt der Zirkusfamilie beigetragen hat, auch wenn sich die Behauptung, man habe rein gar nichts, im Lichte der oben beschriebenen Tatsachen zumindest schwer nachprüfen lässt und wohl auch nicht mehr von jedem geglaubt wird. Wie die Wurzener Stadtverwaltung nun damit umgeht, in Bezug auf die Bernburger Vorfälle ganz offensichtlich getäuscht worden zu sein, bleibt abzuwarten.

Foto: Ingo Wollny, Bernburger Theater- und Veranstaltungs GmbH

Quellen:

https://www.maz-online.de/Lokales/Potsdam/Polizei-sucht-korpulenten-Zirkus-Raeuber

https://www.maz-online.de/Lokales/Potsdam/Zirkus-bangt-nach-Raub-um-Existenz

https://www.maz-online.de/Lokales/Potsdam/Grosse-Hilfsbreitschaft-fuer-ausgeraubten-Zirkus

https://www.mz-web.de/burgenlandkreis/orkan-friederike–circus-alexander–hart-geprueft-29560998

https://www.blick.de/westsachsen/in-einem-land-vor-unserer-zeit-grosse-augen-im-dinoland-zwickau-artikel10589473