Obwohl eigentlich ein ernstes Thema, hat die Diskussion um den Antrag der Bürger für Wurzen zur „einheitlichen Schrift- und Sprachregelung in der Stadtverwaltung Wurzen“ im Verwaltungsausschuss am vergangenen Montag eher den Eindruck einer Polit-Posse erweckt.
Zunächst hatte Thomas Schumann als Fraktionsvorsitzender und Einreicher des Beschlussvorschlags seine Intention, zum Teil unter demonstrativer Einfügung von Glottalen, damit erklärt, dass zwar allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden solle, dies aber im Verwaltungshandeln Gefahren berge.
Als Begründung mussten sowohl einige Beispiele des sogenannten „Gender-Wahns“ herhalten, wie auch Verweise darauf, dass gegenderte Texte schwerer verständlich, eventuell nicht eindeutig seien oder Doppelpunkte und Gender-Sternchen unter anderem von Vorleseprogrammen nicht korrekt erkannt würden.
Laut Beschlussvorlage möge daher „der Oberbürgermeister als Leiter der Stadtverwaltung Wurzen in der Stadtverwaltung dafür Sorge tragen, dass die Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung über die einheitliche Schrift- und Sprachregelungen als Behördensprache entsprechend den Regeln des Rates für deutsche Rechtschreibung erfolgt.“
In der Diskussion meldete sich zuerst Stadtrat Heinz Richerdt (SPD) zu Wort, der seine Verwunderung darüber zum Ausdruck brachte, weshalb dieses Thema überhaupt besprochen werde. Er halte die Diskussion für überflüssig, nach seiner Erfahrung seien die von der Verwaltung vorgelegten Texte stets eindeutig, lesbar und verständlich und es bedürfe keiner expliziten Regelung dafür.
Jens Kretzschmar (Die Linke) machte deutlich, dass Sprache sich immer verändere, was zu akzeptieren sei, und es keinen Grund gebe, geschlechtergerechte Sprache, wie von Herrn Schumann vorgebracht, mit absurden Beispielen ins Lächerliche zu ziehen. Zudem gebe es inzwischen durchaus moderne Vorleseprogramme, die entsprechende Schreibweisen korrekt erkennen und wiedergeben würden.
Den Vogel schoss schließlich Kay Ritter (CDU) ab: Er habe diese Diskussion bereits im Landtag geführt und stehe eigentlich auch dahinter. Aber angesichts der Tatsache, dass haargenau dieselbe Beschlussvorlage vor wenigen Wochen im Grimmaer Stadtrat mit demselben Wortlaut verhandelt worden sei, die BfW den Text also lediglich mit Copy & Paste übertragen hätten, könne er dem hier nicht zustimmen.
Die deutliche Ansage, die BfW hätten nach seiner Auffassung, ohne eigene Ideen zu investieren, diesen Beschlussvorschlag lediglich als Teil des Oberbürgermeister-Wahlkampfes für den Kandidaten Schumann eingebracht, quittierte Linken-Stadtrat Jens Kretzschmar, der selbst als OBM-Kandidat antritt, mit Beifall.
Vor der Abstimmung erklärte Oberbürgermeister Jörg Röglin, er sei vor Jahren einmal von der langjährigen Stadträtin Steffi Ferl gefragt worden, als er von den Söhnen der Stadt gesprochen habe, was denn mit den Töchtern der Stadt sei. Dies sei ihm im Gedächtnis geblieben und entsprechend bemühe er sich um geschlechtergerechte Sprache. Er sehe auch die Gefahr, dass, wenn es künftig für die Verwaltung eine Vorschrift zum Sprachgebrauch gebe, dies erheblichen Mehraufwand bedeute, etwa wenn Protokolle dann stets auf die genaue Einhaltung dieser Regeln geprüft werden müssten. Er werde sich bei dieser Abstimmung der Stimme enthalten.
Letztendlich bekam Thomas Schumann lediglich vonseiten der AfD und des NFW Unterstützung, mit drei Ja-Stimmen und vier Nein-Stimmen (CDU, Linke, SPD) bei einer Enthaltung wurde der Beschlussvorschlag abgelehnt. Allerdings soll er laut Tagesordnung in der kommenden Stadtratssitzung am 1. Februar noch einmal verhandelt werden.
Update vom 04.02.2022
Eine überraschende Wende brachte die Diskussion zum Thema im Stadtrat am vergangenen Dienstag: Diesmal erklärte Thomas Schumann, dass der Beschlussvorschlag nicht von den Bürgern für Wurzen selbst stamme, sondern von der Unabhängigen Wählervereinigung (UWV) erarbeitet und in mehreren Orten im Landkreis Leipzig mit nahezu gleichem Wortlaut eingebracht worden sei.
Daraufhin änderte Stadtrat Ritter (CDU) seine Meinung unter ausdrücklicher Berufung darauf, dass er jetzt, wo Herr Schumann dies zugegeben habe, der Sache auch zustimmen könne. Letztendlich wurde der Beschlussvorschlag nun mit 13 Ja-Stimmen bei 5 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen mehrheitlich angenommen.
Zuvor hatte Stadträtin Martina Schmerler (SPD) ihre Bedenken zum Ausdruck gebracht, dass zukünftig eine Minderheit von Leuten, die gerne z. B. das Wort “Muttermilch” durch “Menschenmilch” ersetzen wollten, über die Mehrheit derer entscheiden würde, die bei der bisherigen Sprachregelung bleiben wollten. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass tatsächlich Mitarbeiter:innen der Wurzener Stadtverwaltung auf die Idee kommen könnten, derlei Wortschöpfungen in offizielle städtische Dokumente einzubauen, nannte sie nicht.
Auch auf explizite Anfrage von Stadträtin Steffi Kretzschmar (SPD) an Herrn Schumann, ob er tatsächliche Anhaltspunkte für seine Bedenken habe, erklärte dieser, das sei nicht der Fall, die Beschlussfassung sei lediglich vorbeugend.
Oberbürgermeister Jörg Röglin machte seine Meinung zur Sinnhaftigkeit der Diskussion damit deutlich, dass er ankündigte, in einem der künftigen offiziellen Dokumente spaßeshalber mal ein “:innen” zu verstecken – er sei schon jetzt gespannt, wer ihn dann bei der Kommunalaufsicht anzeigen werde.