Einen Winter hat das denkmalgeschützte Ringelnatzhaus bereits ohne sein Dach überstehen müssen, da nach dem durch die Denkmalschutzbehörde verhängten Baustopp im September 2019 keinerlei Arbeiten am Gebäude mehr möglich waren. Nun steht zu befürchten, dass auch der kommende Winter lediglich mithilfe der Sicherungsabdeckung mit Folien überstanden werden muss, mit der Gefahr, dass bei eventuellen Extremwetterlagen das Haus weiteren schweren Schaden nimmt.
Dass seit mittlerweile über einem Jahr die Sanierungsarbeiten am Ringelnatzhaus ruhen, liegt an einem vom Bauaufsichtsamt bemängelten Anbau an der Westseite des Gebäudes. Laut Denkmalschutzbehörde „stellt die Bebauung der ehemaligen Hofzufahrt westlich vom Gebäude … eine deutliche Beeinträchtigung des Aussagewertes und des Erscheinungsbildes und damit auch des Denkmalwertes des Hauses dar.“
In den ursprünglichen Planungen, die die Stadt Wurzen für die Sanierung des Ringelnatzhauses erstellt hat, war dieser Anbau noch nicht enthalten, dazumal hatte die Genehmigungsbehörde beim Landkreis allerdings die unzureichende Barrierefreiheit des öffentlich zu nutzenden Gebäudes bemängelt.
Die Stadt hatte sich daraufhin um weitere Fördergelder für das Vorhaben bemüht, unter Beteiligung von Fördermittelgeber SAB und Innenministerium konnte die Fördersumme schließlich um rund 300.000 Euro auf insgesamt knapp 1,1 Mio. Euro aufgestockt werden. Mit dem Gedanken, das historische Gebäude als solches zu erhalten und die rein funktionellen Anforderungen außerhalb zu installieren, wurde daraufhin ein Zwischenbau an der Westseite geplant, in dem eine Fluchttreppe aus dem Dach- und Obergeschoss, ein barrierefreier Fahrstuhl bis ins Dachgeschoss sowie ein Behinderten-WC Platz finden sollen.
Am 06. Mai 2019 reichte die Stadt ihren geänderten Antrag zum Genehmigungsfreistellungsverfahren zur komplexen Sanierung des Ringelnatzhauses mit Außensanierung, Instandsetzung von Erdgeschoss und Obergeschoss sowie Errichtung eines Anbaus bei der Baubehörde des Landkreises ein. Am 20. Mai erfolgte von dort die Bestätigung der Vollständigkeit der Unterlagen, mithin die Genehmigung, mit der Sanierung inklusive des Anbaus zu beginnen. Es folgten die nötigen Ausschreibungen und im August 2019 der Baubeginn.
Mit Blick darauf, dass bei einer so alten Bausubstanz im Verlauf einer Sanierung immer wieder mit Überraschungen zu rechnen ist, bestand, so die zuständige Wurzener Stadtplanerin Konstanze Neudert, zu diesem Zeitpunkt mit der Denkmalschutzbehörde die Vereinbarung, regelmäßige Vor-Ort-Begehungen durchzuführen und fortlaufend Vereinbarungen über die weitere Vorgehensweise zu treffen. Bei einer solchen routinemäßigen gemeinsamen Begehung im September 2019 stellten die Vertreter der Landkreisbehörde dann fest, dass zu ihrer großen Verwunderung ein ihnen bis dato völlig unbekannter Anbau am Gebäude vorhanden war und verhängten umgehend einen Baustopp für die Errichtung des Zwischenbaus.
Weshalb der geplante Anbau bis dahin den Landkreis- und Denkmalschutzbehörden verborgen geblieben sein soll, verwundert nicht nur deshalb, weil ja gerade von dort die Forderung nach Barrierefreiheit gekommen war und man eigentlich davon ausgehen sollte, dass bei der im Mai 2019 erteilten Bauerlaubnis dieser Aspekt besonders hätte in Augenschein genommen werden sollen, was zwangsläufig dazu geführt hätte, dass der geplante Anbau, in dem sich sämtliche dafür nötigen Installationen befinden, hätte bemerkt werden müssen.
Hinzu kommt, dass die Stadt parallel zu den Planungen des Anbaus auch die dafür nötige B-Plan-Änderung durchgeführt hat, an der regelmäßig auch Bauaufsichtsamt und Denkmalschutzbehörde als Träger öffentlicher Belange beteiligt sind. Das Landesamt für Denkmalpflege hat in seiner Stellungnahme vom 13.08.2019 nicht nur die enthaltenen Planungen für den Anbau nicht moniert, sondern auch noch explizit erklärt: „Ziel muss es darüber hinaus sein, die weitgehend geschlossene Bebauung im Crostigall in diesem Abschnitt wiederherzustellen.“, wie im Protokoll der Abwägung zum B-Plan Färbergasse nachzulesen ist. Erst im November 2019, also lange nach der Verhängung des Baustopps und insbesondere nach dem Stadtratsbeschluss und Inkrafttreten des Bebauungsplans, legte die Denkmalschutzbehörde eine zweite, abweichende Stellungnahme vor.
Da die zahlreichen, seit September 2019 stattgefundenen Gespräche, Variantenplanungen und Kompromissangebote zu keiner Lösung geführt haben (bis dato hat man für den am 07.10.2019 eingereichten Bauantrag für den Zwischenbau noch nicht einmal eine Eingangsbestätigung erhalten), hat die Stadtverwaltung noch einmal getrennt für Hauptgebäude und Anbau jeweils einen Antrag auf denkmalrechtliche Genehmigung gestellt. Hintergrund ist vor allem die Sorge davor, dass das Hauptgebäude, das derzeit ohne Dachdeckung und nur mit Planen geschützt ist, bei weiterem Bauverzug schweren Schaden nehmen könnte. Zudem stehen, sollte sich das Vorhaben noch länger hinziehen, auch die bewilligten Fördergelder auf dem Spiel.
Gerade vor diesem Hintergrund scheint es schwer nachvollziehbar, warum die zuständige Bau- und Denkmalschutzbehörde beim Landkreis Leipzig das Genehmigungsverfahren offenbar bewusst in die Länge zieht. So wurden für den Mitte Juli eingereichten Antrag zahlreiche Nachforderungen gestellt, deren Sinn und Zweck durch die Beteiligten in Stadtverwaltung und Planungsbüro mehr und mehr bezweifelt wird. Mittlerweile sind durch die Stadt für weitere Gutachten, Zuarbeiten und Zeitaufwendungen rund 14.000 Euro aufgewendet worden, seitens des Bauamtes heißt es nichtsdestotrotz: „Selbstverständlich können sich aus den nachgereichten Unterlagen weitere Fragen ergeben.“ und „Es wird darauf hingewiesen, dass erst mit der Vorlage der vollständigen Unterlagen die Bearbeitungsfrist nach § 13 Abs. 3 Sächs.DSchG beginnt.“
Für den Gebäudeanbau hat die Verwaltung bereits im Juli einen Ablehnungsbescheid erhalten, gegen den die Stadt nun in Widerspruch gegangen ist. Im Ablehnungsbescheid enthalten ist nochmals die Begründung, dass der besondere Wert des Ringelnatzhauses in seiner frei stehenden Lage in der ansonsten weitgehend geschlossenen Bebauung im Crostigall zu sehen sei. Explizit wird in dem Bescheid auf einen Alternativvorschlag der Denkmalschutzbehörde verwiesen, der nach deren Aussage genehmigungsfähig wäre.
Inwiefern dieser Vorschlag dem Denkmalschutz eher entspricht als die zahlreichen Varianten, die die Stadt mittlerweile erarbeitet hat, ist für Laien nicht auf den ersten Blick erkennbar, da dieser, wie auf der Skizze ersichtlich, ebenfalls zu einer geschlossenen Bebauung führen würde. Für die Stadt ist er jedoch schon deshalb nicht akzeptabel, weil der Anbau nur bis zur Höhe des Obergeschosses reicht und damit die Barrierefreiheit nicht bis ins Dachgeschoss gewährleistet werden kann. Da dieses auch als Abstell- und Lagerfläche genutzt werden soll, müssten beispielsweise Stühle und Veranstaltungsequipment im Rahmen von Kulturveranstaltungen durch die Mitglieder des Ringelnatzvereins zunächst über eine Treppe vom Dachgeschoss ins Obergeschoss getragen werden, ehe man das Ganze per Fahrstuhl in die Veranstaltungsräume im Erdgeschoss bringen könnte. Vor dem Hintergrund der enormen Kosten für den Einbau eines Fahrstuhls und der vergleichsweise geringen Zusatzkosten, wenn dieser über das Obergeschoss hinaus bis ins Dachgeschoss führt, käme es einem Schildbürgerstreich gleich, diesen im Obergeschoss enden zu lassen.
Wie verhärtet die Einstellung in der Landkreisbehörde inzwischen ist, zeigen Äußerungen, die mittlerweile sogar die fachliche Eignung des beauftragten renommierten Wurzener Bauplanungsbüros anzweifeln. Insgesamt sei festzustellen, dass die eingereichten Planungsunterlagen „bezüglich Systematik, Genauigkeit und Aussagefähigkeit den Anforderungen nicht genügen“ würden, man solle doch „einen in der Denkmalpflege erfahrenen und kompetenten Partner“ einbeziehen. Obwohl sich Landrat Henry Graichen für diese verbale Entgleisung seiner Behörde zwischenzeitlich entschuldigt hat, hält diese an ihrer Einstellung fest.
Als Antwort auf eine Anfrage von Konstanze Neudert zum Bearbeitungsstand der denkmalschutzrechtlichen Genehmigung mit Hinweis auf die Dringlichkeit schreibt der Leiter des Bauaufsichtsamtes Patrick Puhl lapidar: „Wie Ihnen bereits mit Schreiben vom 12.08.2020 mitgeteilt, beträgt die gesetzliche Entscheidungsfrist nach § 13 Abs. 4 SächsDSchG nach Vollständigkeit der Unterlagen 2 Monate. Selbstverständlich wird das Verfahren schnellstmöglich mit den zur Verfügung stehenden Kapazitäten bearbeitet. Ich möchte Sie noch einmal eindringlich darauf hinweisen, dass nach § 8 Abs. 1 SächsDSchG die Pflicht, ein Denkmal vor Gefährdungen zu schützen, beim Eigentümer liegt. Die Ihrer Aussage nach lediglich provisorische Sicherung des Daches und die Möglichkeit der Schädigung bei Schlechtwetterereignissen liegt demnach in der Verantwortung der Stadt Wurzen.“