Eine rein formelle Anfrage über den ehemaligen Wurzener Oberbürgermeister Dr. Armin Graebert beim Stadtarchiv Weimar bringt nur sehr dürftige Ergebnisse, denn konkrete Personalunterlagen sind dort nicht aufbewahrt worden.
Erst eine genauere Recherche in den archivierten Protokollen der Ratsherren-Sitzungen bringt nähere Aufschlüsse. Zum ersten Mal findet man hier den Namen Graebert im Protokoll der nichtöffentlichen Ratsherren-Sitzung vom 14. April 1937.
Schon in diesem Dokument wird deutlich, dass das Amt des Weimarer Kämmerers zu dieser Zeit weit mehr Bedeutung hatte, als das eines schlichten städtischen Bediensteten:
Auf Punkt 1 der Anwesenheitsliste findet sich „Herr Reichsstatthalter Sauckel als Beauftragter der NSDAP“, der Weimarer Oberbürgermeister Dr. Mueller rangiert erst auf Platz 2, dieser bittet denn auch den Reichsstatthalter, den Vorsitz der Sitzung zu übernehmen, deren einziger Tagesordnungspunkt die Besetzung der Stadtkämmerer-Stelle ist.
Diese ist offenbar recht begehrt gewesen, immerhin haben sich laut Protokoll 44 Bewerber gemeldet, von denen fünf in die engere Wahl gekommen seien. Dr. Graebert steht auf dieser Liste auf Platz 3, vor ihm an erster Stelle Dr. Fuhrmann aus Recklinghausen und an zweiter Stelle Dr. Marder aus Frankfurt/Oder. Die fünf erstplatzierten Bewerber hätten sich, so das Protokoll, „in der vergangenen Woche dem Herrn Reichstatthalter und Herrn Staatssekretär Ortlepp sowie den Beiräten für allgemeine Verwaltungsangelegenheiten vorgestellt“ – auch dies ein Hinweis darauf, dass die letztendliche Entscheidung zwar formal bei den Weimarer Ratsherren lag, de facto aber maßgeblich auf Parteiebene der NSDAP bestimmt wurde.
Gemäß Protokoll einigte man sich in dieser Sitzung zunächst darauf, die Stelle des Stadtkämmerers Herrn Dr. Fuhrmann zu übertragen, der von allen Beteiligten als erste Wahl bezeichnet wird. Allerdings stellt sich wenig später heraus, dass dieser kurze Zeit nach seiner Wahl seine Bewerbung aus unbekannten Gründen zurückgezogen habe.
In der nichtöffentlichen Ratsherren-Sitzung vom 31. Mai 1937 geht es zunächst um eine andere wichtige Personalie: Auch hier eröffnet Reichstatthalter Fritz Sauckel als Beauftragter der NSDAP die Sitzung, erster Tagesordnungspunkt ist die Besetzung der Oberbauratsstelle. Im Protokoll heißt es dazu: „Der Herr Reichsstatthalter spricht sich für die Bestellung des Regierungsbaumeisters Rudolf Rogler, Berlin, aus. Er kenne ihn als einen tüchtigen Architekten. Hinzu komme, dass auch der Generalbevollmächtigte für die Bauten in Berlin und Berater des Führers, Pg. Speer, Herrn Rogler kenne und ihn für die Weimarer Oberbauratsstelle für sehr geeignet halte, aus diesem Grunde erübrige sich eine Durchsicht der weiter eingegangenen Bewerbungen um diese Stelle.“
Wie nicht anders zu erwarten, sind im Anschluss sämtliche Ratsherren damit einverstanden, dass Herr Regierungsbaumeister Rogler an erster Stelle vorgeschlagen werde. In gleicher Weise verfährt man in Bezug auf die nun wieder vakante Stelle des Stadtkämmerers – auf Mitteilung von Oberbürgermeister Dr. Mueller, dass der ursprünglich vorgesehene Dr. Fuhrmann seine Bewerbung zurückgezogen habe und man sich nunmehr für die Wahl von Dr. Graebert ausspreche, wird auch in dieser Personalangelegenheit festgestellt, „dass sich sämtliche Ratsherren nunmehr für Herrn Dr. Graebert als Stadtkämmerer aussprechen“.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in der nichtöffentlichen Ratsherren-Sitzung vom 17.09.1937 Bürgermeister Thomas mitteilt, „dass auf Wunsch des Herrn Reichsstatthalters an der heutigen Sitzung Herr Kreisleiter Rechtsanwalt Koch, der als Nachfolger für Herrn Oberbürgermeister Dr. Mueller berufen werde, teilnimmt“. Offiziell wird das Ausscheiden von Oberbürgermeister Dr. Mueller als krankheitsbedingt begründet. De facto hat Reichsstatthalter Fritz Sauckel augenscheinlich in kürzester Zeit praktisch die gesamte Weimarer Stadtspitze durch ihm bzw. der NSDAP als geeignet erscheinende Leute ersetzt.
Warum diese Personalien für die NSDAP so wichtig waren, ist leicht nachvollziehbar: Weimar sollte nach dem Willen von Reichsstatthalter Sauckel als Gauhauptstadt von Thüringen zum Vorzeigeobjekt für das gesamte Reich werden – als Zeugnis dieser Ideen kann man noch heute u. a. das „Gauforum“ in Augenschein nehmen, für dessen Bau ein ganzes historisches Stadtviertel der Kulturstadt Weimar weichen musste.
Bleibt die entscheidende Frage, inwiefern Dr. Armin Graebert diesen hohen Ansprüchen gerecht wurde: Seit seinem Parteieintritt am 01. Mai 1933 scheint er sowohl kommunalpolitisch wie auch parteipolitisch schnell Karriere gemacht zu haben. Wie aus dem im Bundesarchiv gespeicherten Personalblatt hervorgeht, avancierte er bereits zum 01.01.1934 vom Beigeordneten in Anklam/Pommern zum Ersten Beigeordneten in Anklam/Pommern, knapp zwei Jahre später 1935 zum Bürgermeister in Glogau und von dort 1937 zum Stadtkämmerer in Weimar.
Auch parteipolitisch ging es für ihn stetig bergauf, wie beispielsweise aus einem Bericht in der Zeitschrift „Bodenreform“ Nr. 46/1935 (Quelle: Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung) hervorgeht, die darin das Organ der NSDAP für den Gau Pommern, die Pommersche Zeitung, zitiert:
„… Der erste Beigeordnete von Anklam, Pg. Dr. Graebert, wurde im Einverständnis mit dem Gauleiter, Pg. Schwede, zum Mitglied des Führerrats des Heimstättenamts der NSDAP und des DAF für den Gau Pommern in Stettin ernannt . Dr. Graeberts Arbeiten auf dem Gebiete des Heimstättenwesens und der Bodenreform fanden bereits mehrfach Anerkennung, so durch seine Berufung in den Aufsichtsrat der Beamtenbausparkasse, Heimstättengesellschaft der Deutschen Beamten in Berlin und in den Fachausschuss für Wohnungswesen, Landesplanung und städtische Siedlung des Deutschen Gemeindetages.“
Beste Voraussetzungen also, sich aktiv in die Umgestaltung der Gauhauptstadt Weimar einzubringen. Die erste große Aufgabe des neuen Kämmerers, mit der wir uns in Kürze in Teil 3 unserer Reportage beschäftigen, lag allerdings zu diesem Zeitpunkt noch außerhalb der Stadt: Für die Bewältigung der großen Vorhaben wurden nicht nur jede Menge Baumaterialien benötigt, sondern auch Arbeitskräfte – ein wesentlicher Gesichtspunkt für die NSDAP bei der Entscheidung zur Errichtung des K-Lagers Buchenwald in unmittelbarer Nachbarschaft.
Quellen: Stadtarchiv Weimar, Bundesarchiv, Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung
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