Von Interesse für die Beurteilung der möglichen persönlichen Verstrickung des ehemaligen Wurzener Oberbürgermeisters Dr. Armin Graebert in die NS-Verbrechen ist, inwieweit er während seiner Amtszeit als Weimarer Stadtkämmerer zwischen Juli 1937 und Juli 1939 auch in die Vorgänge im Konzentrationslager Buchenwald involviert war.
Aus den Akten über die Eingemeindung des K-Lagers Buchenwald nach Weimar (siehe Teil 3 unserer Reportage) ist ersichtlich, dass eine Zusammenarbeit zwischen der Weimarer Stadtverwaltung und der Lagerleitung des K-Lagers Buchenwald von Beginn an bestand und auch von höchster Stelle als notwendig erachtet wurde.
Die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Lager betraf jedoch nicht nur die bekanntermaßen erfolgte Versorgung des KZs mit Lieferungen durch Weimarer Firmen. Nötig waren insbesondere auch Verwaltungsdienstleistungen wie beispielsweise die Ausstellung von Sterbeurkunden durch das Standesamt, zudem erlaubte das damalige Feuerbestattungsgesetz nur Städten und Gemeinden das Betreiben von Krematorien.
Genau diesen Aspekt der Zusammenarbeit hat der Leiter des Weimarer Stadtarchivs, Dr. Jens Riederer, anhand der dort vorhandenen Akten ausführlich untersucht und die Ergebnisse in einem Aufsatz unter dem Titel „Das städtische Krematorium in Dienste der Lager-SS von 1937 bis 1940 – Ein Beitrag zur Frage: Wer wusste was in Weimar über das KZ Buchenwald?“ veröffentlicht.
Der Text umfasst eine genaue Untersuchung der Frage, welche Mitarbeiter bzw. Dienststellen der Stadtverwaltung in die Vorgänge im Lager involviert waren bzw. als Mitwisser der dortigen Vorgänge infrage kommen. Erste Hinweise auf eine mögliche Beteiligung der Kämmerei während der Amtszeit von Dr. Graebert ergeben sich danach aus dem Vermerk über die Zusage der Weimarer Stadtspitze vom 04. August 1937, „mit dem Antrage der Kommandantur des Konzentrationslagers, die Einäscherung der in Frage kommenden Leichen gegen Zahlung eines Pauschalbetrages von 20,- RM vorzunehmen“, einverstanden zu sein.
Zu beachten ist, dass der Betrag von 20,- Reichsmark dabei dem für Zivilleichen gültigen Kostensatz für eine Feuerbestattung 3. Klasse entsprach, allerdings ohne Sarg und Leichenhemd. Die entsprechend an das Lager ausgestellten Rechnungen erlaubten den für die Abrechnung zuständigen Mitarbeitern zumindest einen Überblick über die Anzahl der im städtischen Krematorium verbrannten Leichen. Im städtischen „Leicheneingangsbuch“ wurden die im Lager getöteten Häftlinge zudem gesondert geführt.
Eindeutige Hinweise darauf, dass die Stadtkämmerei Informationen über die Umstände im Lager hatte, finden sich Ende 1938. Im Winter 1938/39 wurde die Nutzung des Krematoriums durch das KZ zum ernsthaften Problem für die Stadtspitze. Nach der Einlieferung von fast 10.000 Juden nach dem Reichspogrom am 9. November 1938 war im „Jüdischen Sonderlager“ aufgrund mangelhafter Hygiene eine Typhusepidemie ausgebrochen. Die beiden städtischen Krematoriumsöfen waren schon vorher der Leichenflut nicht mehr gewachsen und mussten dringend saniert werden, was nicht nur an der Menge, sondern vor allem am Zustand der Getöteten lag, die aufgrund des geringen Fettanteils nur sehr schlecht brannten. Die Reparaturversuche an den beiden Öfen verursachten immense Kosten, die der Kämmerei nicht verborgen geblieben sein können.
Am 21. Dezember 1938 beschloss der Weimarer Stadtrat in nichtöffentlicher Sitzung schließlich den „Neubau eines Feuerbestattungsofens im Krematorium“. Aus dem Protokoll der Sitzung geht hervor, dass der Beigeordnete Stadtkämmerer Dr. Graebert dort anwesend war (Quelle: StadtA Weimar 20/3). Inwieweit im Laufe der Sitzung über die Hintergründe der Beschaffung informiert wurde, geht aus dem Protokoll nicht hervor. Allerdings musste laut Aktenvermerk für diese Anschaffung trotz schlechter Haushaltslage eine außerordentliche Haushaltsstelle eingerichtet werden – auch dies konnte sicherlich nicht ohne Einbeziehung des Stadtkämmerers geschehen. Es ist zudem davon auszugehen, dass die Stadträte im Rahmen der Sitzung zumindest nachgefragt haben und der Stadtkämmerer auch von den Hintergründen der Entscheidung Kenntnis haben musste.
Bemerkenswert ist, wie selbstverständlich die Weimarer Stadtspitze im Vorfeld der Anschaffung offenbar mit den Todesfällen im KZ umging. Dies zeigt sich z. B. an der geäußerten Befürchtung des verantwortlichen Bauinspektors, dass die neue Anlage ohne regelmäßige Anlieferung toter KZ-Häftlinge nicht wirtschaftlich zu betreiben sei. Diese sei dadurch zerstreut worden, dass die obersten Stellen des Lagers versichert hätten, dass immer, jedoch mindestens in den nächsten 6-10 Jahren mit dem KL-Buchenwald gerechnet werden könne. Dass die Stadtverwaltung damit auch tatsächlich fest rechnete, belegt ihre Kalkulation über künftig jährlich ca. 1.200 Einäscherungen für den neu anzuschaffenden Ofen.
Zudem muss in der Weimarer Stadtspitze auch bekannt gewesen sein, in welchem Zustand die Leichen aus dem KZ waren. Die Firma Topf & Söhne hatte es ausdrücklich abgelehnt, der Stadt einen Ofen anzubieten „welcher wohl bei Einäscherung gut oder normal brennender Leichen allen Anforderungen gerecht wird, in dem aber häufig vorkommenden Falle der Einäscherung einer schlecht brennenden Leiche (Tuberkulose, Krebs) versagen muss“, war also offenbar über die in den vorhandenen Öfen aufgetretenen Probleme infolge der massenhaften Verbrennung von sogenannten „Hungerleichen“ informiert worden.
Inwiefern genau Dr. Graebert von den Vorgängen Kenntnis hatte, geht aus den im Weimarer Stadtarchiv vorhandenen Akten nicht hervor. Laut Dr. Riederer lässt sich nach Aktenlage nicht mehr im Einzelnen ermitteln, was man über die Lagerverhältnisse und Massentötungen in der für die Stadtfinanzen verantwortlichen Kämmerei und im Rechnungsprüfungsamt wusste. Angesichts der Tatsache, dass für die Anschaffung des neuen Krematoriumsofens beträchtliche Geldmittel, es wird von knapp 14.000 Reichsmark gesprochen, nötig waren, ist aber davon auszugehen, dass der Stadtkämmerer als Beigeordneter des Oberbürgermeisters sehr genau über deren Verwendung und die entsprechenden Kalkulationen informiert war, zumal er ja durch die Verhandlungen über die Eingemeindung des Lagers auch in ständigem Kontakt mit der SS-Lagerverwaltung war.
Zum Schluss noch ein Zitat aus dem Aufsatz von Dr. Riederer: „Um nicht ungerecht zu urteilen ist abschließend herauszustellen, dass die hier namentlich ermittelten Stadtangestellten die Buchenwald-Häftlinge keineswegs selbst getötet haben, deren Mörder war allein die Lager-SS. Sie stellen also keine Täter im eigentlichen Sinne dar, aber doch mehr oder weniger tatnahe Mitwisser über Morde, die z. T. von ihnen persönlich bekannten Tätern begangen worden sind. Die schiere Masse der Häftlingsleichen, die in wenigstens zwei Wellen um die Jahreswenden 1938/39 und 1939/40 im städtischen Krematorium anlandeten, und nicht weniger ihr sichtbarer Zustand widersprach jedweder Selbstberuhigung, dass hier etwas ablief , das man selbst bei großer ideologischer Nähe zum Nationalsozialismus hätte für „normal“ oder gerechtfertigt ansehen können.“
Siehe auch:
Diskussion um Wurzener NSDAP-Oberbürgermeister