Jörg Röglin – 14 Jahre für Wurzen Teil 3: In die Zukunft investieren

Jörg Röglin – 14 Jahre für Wurzen Teil 3: In die Zukunft investieren

Wenn am 31. Juli die zweite Amtszeit von Jörg Röglin endet, zieht ein neuer Oberbürgermeister in die Wurzener Amtsstube ein.

Zeit für einen Rückblick:

Herr Röglin, Sie wollten Wurzen leistungsfähig machen und in die Zukunft investieren, das geht aber nur, wenn die nötigen Einnahmen in die Stadtkasse fließen und die kommen nun mal zum großen Teil aus den ortsansässigen Gewerbebetrieben.

Bei allem Wehklagen, das man immer wieder z. B. von den Innenstadthändlern hört,  geht es der Wurzener Wirtschaft insgesamt offenbar gut, zumindest wenn man das steigende Gewerbesteueraufkommen oder die vergleichsweise niedrige Arbeitslosenquote betrachtet. Was haben Sie als Oberbürgermeister für die Wirtschaftsförderung getan?

Ja, die Arbeitslosenquote liegt im Agenturbezirk Wurzen zur Zeit bei 4,3%. Das ist schon stattlich und die Gewerbesteuereinnahmen sind ebenfalls sehr gut. Im Jahr 2021 haben wir in Wurzen pro Einwohner ca. 500 € Gewerbesteuern eingenommen, der sächsische Durchschnitt vergleichbarer Kommunen liegt bei ca. 450 € pro Einwohner. Die Liste der Projekte der direkten Wirtschaftsförderung ist lang, der Bahnanschluss der Wasserglasfabrik, die Ansiedlung der cryotec GmbH in der Dresdner Straße, der Abbruch der alten Teppichfabrik, der Abbruch des alten Motorenwerkes zur Erweiterung der Fläkt Group oder die Verrohrung des Mühlgrabens zur Sicherung der Wurzener Dauerbackwaren, um nur einige zu nennen.

In den Jahren nach der politischen Wende hat Wurzen viel Geld in große Projekte gesteckt, die aus heutiger Sicht als „mit der heißen Nadel gestrickt“ erscheinen. Das 1994 gebaute Wurzener Gymnasium hat sich als Millionengrab erwiesen, die Stadt hat ein Parkhaus, ebenso aus den 90er Jahren, das von der Bevölkerung nicht angenommen wird, immer wieder für Ärger sorgt und aufgrund der Fördermittelbindung nur schwer umgenutzt werden kann, die Sanierung der erst kurz nach der Wende gebauten Grundschule an der Sternwarte hat jüngst mehr als eine Million Euro verschlungen. Sind die Stadtväter von damals zu blauäugig gewesen und was haben Sie anders gemacht?

Aus dem Blickwinkel von heute, will ich nicht über die Entscheidungen urteilen. Manche Gebäude mussten schnell gebaut werden. Ohne die jetzige Grundschule „An der Sternwarte“ gäbe es das Gymnasium vielleicht nicht. Schließlich war die Schule zunächst die Außenstelle des Gymnasiums. Und das Lichtwer-Gymnasium…leider haben mich die Mängel des Gebäudes 14 Jahre verfolgt und es ist immer noch nicht alles repariert. Das Gebäude hat übrigens der Landkreis gebaut.

Dennoch oder gerade deswegen habe ich mit meinem Amtsantritt den Schwerpunkt auf die Schulen und Kitas gelegt. Die Kitas sind jetzt in ordentlichem Zustand, die Schulen ebenfalls. Im Gegensatz zu den 90igern konnten und mussten wir uns mit unseren Investitionen mehr Zeit lassen. Einerseits war nicht so viel Geld verfügbar, wie nach der Wende.

Anderseits wollten die Betroffenen in die Entscheidungen eingebunden werden. Diese fallen dann zwar nicht immer so aus, wie ich mir das vorstellte, haben jedoch zumeist einen positiven Ausgang genommen. So wollte ich zum Beispiel die Kitas in Burkartshain und Kühren zusammenlegen und ein neues Gebäude errichten. Das fand keine Mehrheit und so haben wir in Kühren eine neue Kita gebaut. Wie in anderen Grundschulen der Stadt können Kinder von der Krippe bis zur Grundschule durchgehend eine Einrichtung benutzen. Dieses Konzept überzeugte die Eltern.

Im Gegensatz dazu konnte ich die Eltern und Stadtrat nicht von der Vorstellung überzeugen, die Grundschule „An der Sternwarte“ und die Ringelnatzgrundschule zusammenzulegen. Die Diskussion, damals auch unter großer Bürgerbeteiligung im Stadthaus geführt, ergab, dass die vier Schulstandorte erhalten bleiben und die Grundschule „An der Sternwarte“ saniert oder besser instand gesetzt wurde. Die Entscheidung über die Zukunft des Hauses ist damit nur aufgeschoben, weil die Bauweise dieses Gebäudes nicht für die Ewigkeit ausgelegt ist.

Bei all diesen Sanierungen und Reparaturen ärgert mich am meisten, dass wir mit dem ganzen Geld keine wirkliche Verbesserung der Lernbedingungen erreichen. Wenn sich die Gelegenheit eröffnete, haben wir das aber genutzt. Als der Freistaat Sachsen zum Beispiel 2015 das Förderprogramm „Brücken in die Zukunft“ auflegte, war Wurzen eine der wenigen Kommunen, die mit dem Geld unsere Oberschule und das Gymnasium mit WLAN-Netzen ausrüstete. Das hat uns im späteren Digitalpakt genützt, weil aus diesem Programm dann mehr PC, Tablets und Smart Boards beschafft werden konnten.

Um viele Projekte wurde in den vergangenen 14 Jahren in Wurzen sehr intensiv und teilweise sehr kontrovers gestritten, angefangen mit der Entscheidung zum Neubau der Kührener Kita. Einige davon sind im Zuge der Diskussion auf der Strecke geblieben, so z. B. die von Ihnen schon erwähnte Verschmelzung der Ringelnatz-Grundschule und der Grundschule an der Sternwarte zum Bildungszentrum Nord oder das mehrmals auf den Weg gebrachte Parkkonzept für die Innenstadt. Offenbar haben die Wurzener:innen gelernt, ihre Interessen gegenüber den Entscheidungsträgern in Stadtrat und Verwaltung zu verteidigen und sich offensiv in Entscheidungen einzumischen. Haben Sie es auch manchmal bereut, so ergebnisoffen in die Diskussionen gegangen zu sein?

Nein gar nicht. Wenn ich eine Diskussion ergebnisoffen führe, dann kann das passieren, dessen muss man sich bewusst sein. Bedauert habe ich nur an einigen Stellen, die Art und Weise der Diskussionen. Bei der Kinderbetreuung spielen Emotionen immer eine große Rolle, dennoch muss Maß und Mitte gewahrt bleiben. Das war leider nicht immer der Fall.

Das Parkraumkonzept spiegelt ein anderes Problem wider. Wie erreichen wir die Menschen? Ich war immer um Transparenz bemüht, zum Beispiel haben wir kaum noch nichtöffentliche Ausschuss- oder Stadtratssitzungen. Zu jeder Sitzung des Stadtrates haben die Bürger die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Wir haben ein digitales Ratsinformationssystem eingeführt, in dem jede Tagesordnung, jeder Beschluss und jedes Protokoll nachgelesen werden kann. In jeder Stadtratssitzung trage ich aktuelle Informationen aus der Stadtverwaltung vor. Auf Muldental TV habe ich monatlich eine Online-Bürgersprechstunde gehalten. Bei mir einen persönlichen Termin zu bekommen, war immer möglich.

Oder die Aufstellung des Doppelhaushaltes 2021/2022, an der sich jedermann und jedefrau beteiligen konnten. Die Resonanz war eher gering. Trotzdem halte ich das Format weiterhin für sinnvoll und sollte künftig weitergeführt werden.

In den ersten Jahren Ihrer Amtszeit stand in den erst kurz zuvor eingemeindeten ländlichen Ortsteilen von Kühren-Burkartshain vieles auf der Kippe, nicht zuletzt auch der Erhalt der Kührener Grundschule. Sie haben damals gemeinsam mit den Lehrerinnen und Eltern um den Erhalt des Schulstandorts gekämpft und mussten sich dabei nicht nur gegenüber den Schließungsbestrebungen seitens des Kultusministeriums durchsetzen, sondern auch gegen entsprechende Interventionen von Vertretern aus Stadtrat und Verwaltung, die offenbar die Dorfschule als Konkurrenz für die städtischen Schulen gesehen haben.

Ähnliche Widerstände gab es, als es um den Erhalt des Burkartshainer Freibads ging oder um die Fördergelder für den Neubau der Kührener Kita. Die Erhaltung der Infrastruktur in den Dörfern kostet die Stadt viel Geld. Wo sehen Sie den Stellenwert, den die Ortsteile für die Stadt haben?

Die Ortsteile gehören zu Wurzen und sie sind ein liebenswerter Teil der Stadt. Kühren ist ein gutes Beispiel. Vor Jahren stand die Grundschule auf dem Spiel. Ohne die Schule hätte dem Ortsteil ein wichtiger Identifikationspunkt gefehlt. Wir haben uns nicht beirren lassen und Kühren weiterentwickelt.

Nicht nur der Neubau der Kita, die Sanierung der Schule und jetzt auch der Sporthalle, auch die Einrichtung und spätere Erweiterung des Park+Ride-Parkplatzes am Bahnhof in Kühren haben zur Attraktivität des Ortsteils beigetragen. Die Baugrundstücke in Kühren sind alle an den Mann oder die Frau gebracht und die Schule unterrichtet zum Teil zwei Klassen eines Jahrganges. Und Kühren und Burkartshain sind als sogenannte Siedlungskerne im ländlichen Raum eingestuft, wodurch wir mehr Fördermittel in die Ortsteile lenken können.

Doch wenn ich viel über Kühren gesagt habe, dann dürfen wir die anderen Ortsteile nicht vergessen. In Nemt steht ein neues Feuerwehrgerätehaus und in Sachsendorf wird ein neues Dorfgemeinschaftshaus errichtet. Ein besonderes Beispiel, das mir besonders am Herzen liegt, ist Roitzsch. Dort haben sich vor allem die Frauen des Frauenvereins „L.U.I.S.E.“ aufgemacht, die alte Gaststätte in Roitzsch zu einem Gemeindezentrum zu machen. Wer weiß, wie es noch vor ein paar Jahren dort aussah und jetzt dahin kommt, kann nur beeindruckt sein.

Ein ganz besonderes Wurzener Projekt hat Sie fast Ihre gesamte Amtszeit lang immer wieder beschäftigt: Lange Zeit wurde darum gerungen, wie das stark sanierungsbedürftige denkmalgeschützte Ringelnatz-Geburtshaus nicht nur saniert, sondern auch anschließend sinnvoll genutzt werden könnte. Viele Ideen wurden im Laufe der Zeit diskutiert und dann doch nicht umgesetzt.

Der Durchbruch kam erst, als Sie sich entschieden haben, auf den Vorschlag eines Stadtrates einzugehen, das Haus an einen Investor zu verkaufen. Mit dem Angebot des Joachim-Ringelnatz-Vereins, das Haus in eigener Regie zu bewirtschaften, wenn die Stadt es behalte und die Sanierung übernehme, konnte sich letztlich auch der Stadtrat anfreunden.

Das Bewirtschaftungskonzept hat überzeugt, auch die Fördermittelgeber, die einen Großteil der Sanierungskosten tragen, nachdem die Stadt das Gebäude in ein entsprechendes Förderprogramm hineinbringen konnte. Schließlich lag sogar schon eine Baugenehmigung vor, auf deren Grundlage mit den Arbeiten begonnen wurde.

Doch dann kam der Rückschlag: Mit der Begründung, zum Zeitpunkt der Baugenehmigung sei der entsprechende Bebauungsplan noch nicht rechtskräftig angepasst gewesen, zog das Bauordnungsamt die Baugenehmigung zurück, bezeichnete die schon errichteten Gebäudeanbauten als „Schwarzbau“ und untersagte die Weiterarbeit am Gebäude. Das folgende, viele Monate dauernde, nervenaufreibende Tauziehen um Barrierefreiheit, Denkmalschutz und Baurecht fand erst vor Kurzem ein glückliches Ende.

Immer wieder kam, wie auch bei anderen Projekten, der Vorwurf, die Stadtverwaltung und insbesondere das Stadtoberhaupt seien nicht ausreichend kommunikativ und/oder kompromissfähig. Aber wer kann eigentlich ein Interesse daran haben, ein für die Stadt so wichtiges Vorhaben zu blockieren, Sie als Oberbürgermeister doch bestimmt nicht, oder?

Das ist eine rhetorische Frage. Die Stadtverwaltung und der Stadtrat haben sich immer ganz intensiv für die Projekte eingesetzt. Mit Blick auf die Genehmigungsbehörden kann ich nur die Weisheit zitieren: „Wer etwas will findet Wege. Wer etwas nicht will sucht Gründe.“ Meist haben wir mit unseren Partnern Lösungen für die Herausforderungen gefunden. Zum Teil reißt das aber bis zum Rand des Erträglichen an den Nerven der Mitarbeiter der Stadtverwaltung, der Planungsbüros und der Nutzer, egal ob Ringelnatzverein, Feuerwehr oder Investoren.

Den Rang des größten Vorhabens hat zwischenzeitlich der Wasserturm eingenommen. Fast (wahrscheinlich noch mehr) 6 Mio. EUR investiert die Stadt in die Umnutzung eines technischen Denkmals in eine Musikschule. Alle, die dieses Projekt kennen, sind von der Idee begeistert. Dennoch haben wir insgesamt sechs Jahre benötigt, um das Vorhaben genehmigungsreif zu bekommen. Allein die denkmalschützerischen Anforderungen schlagen mit ca. 1 Mio. EUR zu buche, die allgemeine Steigerung der Baukosten ist noch gar nicht abzusehen.

Gleiches ist eben auch beim Ringelnatzgeburtshaus zu beobachten. Ich hätte gern als OBM dem Ringelnatzverein das Haus zur Nutzung übergeben. Das bleibt mir wegen der langen Genehmigungsprozesse verwehrt.

Welchen Ratschlag können Sie zum Schluss Ihrem Nachfolger mit auf den Weg geben?

„Benutzt Sonnencreme.

Ratschläge sind eine Form der Nostalgie. Ratschläge zu geben ist, die Vergangenheit aus dem Papierkorb zu fischen, sie etwas aufzupolieren, die weniger schönen Teile zu übermalen und als mehr zu verkaufen, als sie wert sind. Aber vertrauen Sie  mir bei der Sonnencreme.“

Eines meiner Lieblingslieder ist „Wear Sunscreen“ im „Tropical Remix“ von Mau Kilauea.

Vielen Dank!