Jörg Röglin – 14 Jahre für Wurzen Teil 2: Zusammen sind wir stark

Jörg Röglin – 14 Jahre für Wurzen Teil 2: Zusammen sind wir stark

Wenn am 31. Juli die zweite Amtszeit von Jörg Röglin endet, zieht ein neuer Oberbürgermeister in die Wurzener Amtsstube ein.

Zeit für einen Rückblick:

Herr Röglin, Sie haben vor 14 Jahren eine Stadtverwaltung übernommen, deren Mitarbeiter über viele Jahre mit ganz anderen Methoden gearbeitet haben, als Sie es aus ihrer Tätigkeit in der freien Wirtschaft gewohnt waren. Nun kann ein Oberbürgermeister zwar viele gute Ideen haben, umsetzen kann er sie aber letztlich nur, wenn seine Mitarbeiter auch in seinem Sinne mitziehen.

Zuweilen hat man allerdings als Außenstehende den Eindruck, als fühle sich der eine oder andere Verwaltungsmitarbeiter auf seinem Posten wie ein kleiner König  in seinem eigenen Reich, wo er nach eigenem Gutdünken herrschen und entscheiden kann. Sie sind mit dem Anspruch angetreten, die Verwaltung solle sich als Dienstleister für die Bürger:innen sehen. Stößt man da als Verwaltungschef auch manchmal an Grenzen?

Oh ja. Ich bin erklärter Bewunderer von Steve Jobs, der vor einem Entwicklungsteam sagte: „Lasst uns Piraten sein.“ Was er meinte war, seid schnell, erfindungsreich und nichts ist unmöglich. So habe ich, blauäugig wie ich war, diesen Satz in meiner Begrüßung an die Mitarbeiter zitiert. Nun, die Wirkung war nicht ganz wie erhofft. Dennoch habe ich die Verwaltung umstrukturiert. Ämter aufgelöst, den Kulturbetrieb in eine wirtschaftlich selbstständige Einheit umgewandelt und Projektarbeit eingeführt.

Das funktioniert mal besser und mal schlechter. Ein gutes Beispiel ist der Bau der neuen Kita in Kühren, dort wurde fachbereichsübergreifend gearbeitet und das Projekt gut geführt. Wie viel von einer guten Projektleitung abhängt zeigt das Projekt „Bürgerbüro“, das leider nicht erfolgreich war.

Zum Ende der 2000er Jahre waren die Mitarbeiter immer noch sehr verunsichert und jedes Personalentwicklungskonzept wurde als Werkzeug für betriebsbedingte Kündigungen gefürchtet. Obwohl während meiner Amtszeit kein einziger Verwaltungsmitarbeiter eine Kündigung erhalten hat, konnte ich den Mitarbeitern diese Ängste leider nie ganz nehmen.

Dabei habe ich immer betont, dass wir unser Personal dringend brauchen. Einerseits, weil uns der Nachwuchs fehlt, anderseits, weil die Verwaltung immer komplexer wird. Die Kooperation im Wurzener Land oder das Projekt „RathausCloud“ waren Ergebnisse dieser Überlegungen. Diese Frage wird entscheidend für die Zukunft sein und ist immer noch nicht vollständig beantwortet.

Sie haben es ja schon erwähnt: Eins der Vorhaben für mehr Bürgernähe der Verwaltung sollte die Einrichtung eines Bürgerbüros auf dem Marktplatz sein, also mitten in der Stadt, was also auch die Innenstadt noch aufgewertet hätte, wo die Leute ihre Anliegen unbürokratisch und einfach erledigen könnten, ohne extra ins Stadthaus zu müssen. Warum wurde die gute Idee nicht umgesetzt?

Ja, das Projekt lief schlecht. Einerseits hatten wir technische Probleme. Mitarbeiter von einem Büro in ein neues umziehen zu lassen und ein paar Räume zu verändern, wird dem Anspruch an ein gutes Bürgerbüro nicht gerecht. Ein Bürgerbüro muss Dienstleister für die Bürger, aber auch für die Verwaltung sein. Dem ist das Projekt nicht gerecht geworden. Ich habe es nie aus den Augen verloren, jedoch muss ich Prioritäten akzeptieren. Die umfangreichen Aufgaben des Fachbereichs „Bürgerdienste“ ließen bis zuletzt keine Arbeit am „Bürgerbüro“ zu.

Böse Zungen behaupten, in Wurzen gebe es viele Konzepte, die nur für die Schublade geschrieben wurden. Tatsächlich hatten sowohl Verwaltungsmitarbeiter als auch Stadträte wohl zumindest zu Beginn Ihrer Amtszeit erhebliche Schwierigkeiten damit, das Prinzip konzeptioneller Arbeit zu verstehen, und erst recht, danach zu handeln.

Mittlerweile dürfte den meisten klar sein, dass man nur dann nachhaltig und zukunftsfähig entscheiden kann, wenn man weiß, was man hat, wo man hin will, und wie man das erreichen kann. Zudem werden die meisten Fördertöpfe von den zuständigen Ministerien oder Entscheidungsträgern auch nur dann geöffnet, wenn entsprechend aussagekräftige Konzeptionen für die Verwendung der Gelder vorliegen. Welche der vielen Konzepte liegen denn tatsächlich völlig ungenutzt in einer Schublade und welchen Nutzen haben die anderen der Stadt letztendlich gebracht?

Richtig, zum einen sind die Konzepte wichtiger Bestandteil in Fördermittelanträgen, anderseits erwarten insbesondere Stadträte im Lauf der Beratungen einen klaren Fahrplan. Wir wurden vor allem dafür kritisiert, dass wir zu viele externe Berater bei  der Konzepterstellung hinzuziehen. Das habe ich allerdings nur gemacht, wenn es notwendig war, wenn die zusätzliche Arbeit von der Verwaltung nicht geleistet werden konnte oder schlicht die Expertise nicht vorhanden ist.

Wo es ging, haben wir die Konzepte selbst erstellt, zum Beispiel entspringt das Konzept der „RathausCloud“ aus meiner Feder. Bei der Gründung der Wurzener Landwerke waren wir dagegen sehr auf externen Sachverstand angewiesen. Allerdings habe ich nicht nur einmal erfahren müssen, was der Prophet im eigenen Land wert ist. Unser Parkraumkonzept hat zunächst die Verwaltung erstellt, auf Wunsch des Stadtrates wurde jedoch ein Planungsbüro beauftragt.

In Summe werden die meisten unserer Konzepte umgesetzt, vielleicht nicht bis in jedes Detail, aber als Leitfaden begleiten sie die Arbeit der Verwaltung. Über das Stadtentwicklungskonzept setzen wir am Ringelnatzgeburtshaus die grünen Trittsteine um, im Klimaschutzkonzept haben wir Nahwärmenetze beschrieben, die z. B. in der Kita Sonnenschein/Diesterweg Grundschule errichtet wurden und die Organisationsstruktur der Verwaltung geht auf das Personal- und Organisationsentwicklungskonzept zurück. Um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen.

Wenn man vor einigen Jahren durch die Stadt spaziert ist, insbesondere im Bereich der Plattenbauten im Norden, konnte man schon anhand des äußeren Erscheinungsbildes der Häuser deutlich sehen, welche zur im Eigentum der Stadt befindlichen WGW gehörten und welche zur Wohnungsgenossenschaft: Während letztere meist einen guten baulichen Zustand und gepflegtes Erscheinungsbild boten, machten erstere oftmals den Eindruck, seit der DDR-Zeit sei nicht viel passiert.

Sanierung Friedrich-Ebert-Straße

Mittlerweile hat sich auch hier einiges geändert, selbst der sogenannte 100er-Block ist, wie man hört, mittlerweile ein begehrtes Wohnobjekt und in der Friedrich-Ebert-Straße wird derzeit eine der letzten unsanierten Plattenbauten „zwei Köpfe kürzer“ gemacht. Auch bei den Altbauten in der Ostvorstadt hat sich in den letzten Jahren viel getan. Was ist anders geworden in der WGW?

Die Wurzener Gebäude- und Wohnungsgesellschaft war seit Beginn meiner Arbeit ein Sorgenkind. Jahr für Jahr schrieb die Gesellschaft Verluste, der unvermietete Wohnraum lag bei 30%. Änderung war erst in Sicht, als zunächst das Liegenschaftsmanagement der neue Schwerpunkt des Stadtmarketings wurde und wir im Projekt „Kooperation im Quartier (KIQ)“ neue Partner kennenlernten und von deren Erfahrungen profitieren konnten.

Kurz gesagt war die Handlungsempfehlung an die WGW, die alten, kleinen, oftmals denkmalgeschützten Häuser an private Investoren zu veräußern und mit der Instandsetzung das gesamte Wohngebiet aufzuwerten. Die freien Mittel könnte die WGW in die großen Häuser im Stadtzentrum und im Norden der Stadt investieren.

Leider konnte die langjährige Geschäftsführerin diesem Kurs nicht folgen und verließ das Unternehmen. Ihre Stelle nahm der zeitweilige Stadtmarketingkoordinator Peter Sauer ein und setzte die Empfehlungen um. Das Ergebnis lässt sich sehen, ein Gebäude nach dem anderen wird saniert und die WGW erwirtschaftet moderate Gewinne.

Ähnlich war die Situation bei der Wärmeversorgung. Auch dort deutete sich an, ein „weiter so“ führt in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im Unterschied zur WGW war jedoch die Geschäftsleitung bereit, den Wandel mitzugestalten. So haben wir aus der Wärmeversorgung eine Energieversorgung gemacht. Mit der großen Fotovoltaikanlage in der Eilenburger Straße erwirtschaften wir nicht nur Gewinne, wichtiger ist aber, die Gewinne aus den erneuerbaren Energien bleiben in kommunaler Hand und im Ort. Heute ist die Wärmeversorgung Bestandteil der Wurzener Land Werke und sorgt dort dafür, andere Projekte, wie z. B. den Glasfaserausbau, zu unterstützen.

Vor geraumer Zeit hat einmal eine Stadträtin in einer Ratssitzung, als es um einen Zwist mit der Nachbargemeinde ging, gefragt, wo denn diese Mauer zwischen Wurzen und Bennewitz herkomme. Sie haben damals geantwortet, die Mauer heiße Mulde und die Gründe, warum sie so unüberwindbar scheine, lägen wohl in der Vergangenheit. Verständlich erscheint die damalige Sorge der Umlandgemeinden vor einer Eingemeindung nach Wurzen und dem damit verbundenen Verlust der Selbstbestimmung.

Entgegen dem damaligen Trend, per Eingemeindung immer größere Verwaltungseinheiten zu schaffen, haben Sie vor acht Jahren, wahrscheinlich als erster sächsischer Bürgermeister überhaupt, einen anderen Weg eingeschlagen. Die Kooperation „auf Augenhöhe“ zwischen den vier Wurzener-Land-Kommunen, damals noch von vielen als unmöglich angesehen, hat inzwischen zahlreiche Nachahmer gefunden. Hat das Konzept aus Ihrer Sicht eine Zukunft?

Unsere Probleme lassen sich nicht durch immer größere Strukturen lösen, davon bin ich nach wie vor überzeugt. Auf Veränderungen können kleine Systeme schneller reagieren als große Tanker. Wichtiger ist aber die Nähe zu den Einwohnern und die Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort. Warum sollte ein Wurzener Stadtrat entscheiden, was in Bennewitz investiert wird.

Es war viel Beziehungsarbeit nötig, um den Gemeinderäten des Wurzener Landes die Befürchtung zu nehmen, die Kooperation wäre die Eingemeindung durch die Hintertür. Zwischenzeitlich ist uns das, glaube ich, gut gelungen. Mit vielen Projekten, größeren, wie den Wurzener Landwerken, und kleineren, wie dem Vereinsstammtisch des Wurzener Landes, haben wir Netzwerke geschaffen und Vertrauen aufgebaut. Das alles ist jedoch kein Selbstläufer, es muss jeden Tag neu erarbeitet werden. Diese Erfahrung machen nicht nur wir, sondern auch alle anderen Kooperationen, die mir bekannt sind.

Im Wurzener Land kooperieren vier Kommunen. Sie werden von vier Männern aus ganz verschiedenen politischen Lagern „regiert“: Bernd Laqua in Bennewitz wurde von den Linken ins Rennen geschickt, Thomas Pöge in Thallwitz von der CDU und im Lossatal sitzt mit Uwe Weigelt ein SPD-Mann im Rathaus. Auch von den Charakteren könnten die Beteiligten fast nicht unterschiedlicher sein. Sie selbst hatten als Oberbürgermeister der Stadt Wurzen nicht nur in einer Hinsicht eine Sonderrolle innerhalb der Kooperation.

Zum einen deshalb, weil Sie das Ganze gemeinsam mit Thomas Pöge überhaupt erst auf den Weg gebracht haben, andererseits natürlich auch, weil die Stadt aufgrund ihrer in der Vergangenheit immer wieder gezeigten Dominanz zumindest zu Beginn des Aufeinader-Zugehens von vielen Repräsentanten der Umlandgemeinden eher als Bedrohung (Eingemeindung und damit Verlust der Souveränität) denn als möglicher Partner gesehen wurde. Welche persönlichen Kompetenzen braucht man als Oberbürgermeister, um so unterschiedliche Gemengelagen dauerhaft unter einen Hut zu bekommen?

Egal welchem politischen Lager die Kollegen angehören, so haben wir letztendlich die gleichen Ziele. Wir müssen die Handlungsfähigkeit der Kommunen sichern, um eigene Prioritäten setzen zu können. Die Erkenntnis, die Leistungsfähigkeit nicht mehr allein zu sichern, setzte sich nach und nach durch. Klassischerweise war das Mittel der Wahl lange Zeit die Eingemeindung. Ich war immer der Auffassung, dass wir mit einer Eingemeindung nicht die Probleme lösen, sondern uns neue schaffen. Wurzen war nicht die schöne Braut, die jeder haben wollte. Also mussten wir andere Wege gehen,die Dinge anders machen. Den Anfang hat 2014 Thallwitz gemacht. Im ersten Demografieprojekt haben wir ausgelotet, welche Aufgaben können wir gemeinsam erbringen und welche sollten vor Ort bleiben.

Thomas Pöge und ich haben damals das Motto des Wurzner Landes geprägt: Die Kirche, die Schule und das Rathaus bleiben im Dorf. Das heißt nichts anderes, als die Entscheidungen über die Entwicklung der Gemeinde und die bürgernahen Aufgaben bleiben vor Ort, bürgerferne Aufgaben machen wir gemeinsam. Hätten wir in dieser Phase nicht bewiesen, dass eine kleine Kommune wie Thallwitz und die große Kreisstadt Wurzen auf Augenhöhe kommunizieren und arbeiten, hätten sich Lossatal und vor allem Bennewitz niemals dem Wurzener Land angeschlossen.

Mit Blick auf die anstehenden Probleme, die Fachkräftemangel und steigende Aufgabenzuweisungen an die Kommunen mit sich bringen, sind Sie in puncto Kooperation mittlerweile noch einen Schritt weiter gegangen: Die Kooperation RathausCloud verbindet schon jetzt Kommunen aus allen Teilen des Freistaates und soll perspektivisch allen sächsischen Kommunen offenstehen und sie in die Lage versetzen, Arbeitsabläufe in den Verwaltungen zu digitalisieren und damit sowohl bürger- als auch verwaltungsfreundlicher zu gestalten.

Wie wagt man ein solches Mammutprojekt, insbesondere, wenn man bedenkt, dass das Land Sachsen und Deutschland insgesamt in puncto Digitalisierung anderen Ländern weit hinterherhinken?

Indem man dann doch Pirat ist, sein Herz in beide Hände nimmt und lossegelt. Durch meine berufliche Herkunft und mein Interesse für neue Technologien habe ich natürlich einen etwas anderen Blick auf die Herausforderungen und Möglichkeiten der Digitalisierung. Die Interpretation des Online-Zugangs-Gesetzes als reinen digitalen Zugang zur Verwaltung war mir zu kurz gesprungen.

Um unsere Herausforderungen mit Technik, Personal und Organisation zu meistern, musste ein vollständig digitaler Prozess gebaut werden. Mit der RathausCloud ist uns das gelungen, zunächst nur mit einigen Verwaltungsleitungen, doch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Zum Glück gab es viele Unterstützer des Projektes, ob es das Staatsministerium für Regionalentwicklung war oder die Landesdirektion Sachsen und nicht zuletzt der Stadtrat der Stadt Wurzen, die das Projekt unterstützt haben.