Ringelnatzhaus – Stadt und Verein kämpfen weiter für unbeschränkte Nutzung

Ringelnatzhaus – Stadt und Verein kämpfen weiter für unbeschränkte Nutzung

Die Stadt Wurzen wird weiterhin um eine Kompromisslösung der derzeit mit Denkmalschutz- und Bauaufsichtsbehörde beim Landkreis Leipzig bestehenden Probleme ringen, die eine vollständige Nutzungsmöglichkeit und barrierefreie Erreichbarkeit des Ringelnatz-Geburtshauses inklusive des Dachgeschosses beinhaltet. Alle derzeit laufenden Genehmigungs- und Widerspruchsverfahren bleiben, so Oberbürgermeister Jörg Röglin, unverändert in Gang.

Grundlage der Entscheidung ist eine Stellungnahme des Joachim-Ringelnatz-Vereins zur Notwendigkeit der Nutzung des Dachgeschosses, mit der dieser sich sowohl an die Stadtverwaltung als auch an die Entscheider im Sächsischen Staatsministerium des Innern und beim Landkreis Leipzig gewandt hat mit der Bitte, die Entwicklungschancen für das touristische und kulturelle Alleinstellungsmerkmal in der Ringelnatzstadt Wurzen nicht aus der Hand zu geben. Die Untere Denkmalschutzbehörde hatte zuvor wie berichtet einen Bescheid erlassen, der die zeitnahe Weiterführung der Sanierungsarbeiten am denkmalgeschützten Gebäude beinhaltet unter der Bedingung, dass die Stadt auf die Nutzung des Dachgeschosses verzichtet.

Das Ringelnatz-Geburtshaus sei der Markenkern der Vermarktung von Wurzen als Ringelnatz-Geburtsstadt, so Vereinsvorsitzende Dr. Viola Heß. Der Joachim-Ringelnatz-Verein habe sich erboten, die Stadt mit ihrem begrenzten Kulturbudget zu entlasten (finanziell und personell) und die Betreibung im Auftrag der Stadt zu übernehmen. Weiter heißt es in der Stellungnahme:

„Oberbürgermeister Jörg Röglin unterstützt als erster Bürgermeister seit 30 Jahren das Anliegen, das Geburtshaus zu erhalten, zu revitalisieren und zu einem literarischen Gedenk- und Forschungsort in Deutschland zu entwickeln. Unser Verein hat sich zu diesem Zweck bereits zu einer literarischen Gesellschaft mit Mitgliedern in ganz Deutschland entwickelt und ist Mitglied des Dachverbandes der literarischen Gesellschaften geworden.

Wir haben bislang stets gemeinsam mit der Stadt und in enger Abstimmung einen erfolgreichen Weg zurückgelegt, der den Schritt zur Sanierung des Hauses und seiner behindertengerechten Ausstattung möglich gemacht hat. Aufzug, Behindertentoilette und Rettungstreppe sind elementare Voraussetzung für die kulturelle und touristische Nutzung. Sie sind zudem Bedingung für die Vermarktung durch den sächsischen Tourismus und damit für alle Seiten unstrittig. Wir sind froh, dass der Fördermittelgeber, die SAB, dies möglich gemacht hat.

Kern der jetzigen Auseinandersetzung ist die Nutzung des Dachgeschosses, die im Betreiberkonzept vorgesehen ist, sowie dessen Anbindung an den Fahrstuhl. In der nunmehr vorliegenden denkmalschutzrechtlichen Genehmigung wird die Nutzung des Dachgeschosses untersagt. Das hat für die Betreibung des Ringelnatz-Geburtshauses in seinen verschiedenen Funktionen weitreichende Folgen. Eine Untersagung der Nutzung schränkt die Betreibung des Hauses als Kultur, Gedenk-, Begegnungs- und Forschungsstätte ein.

Vom Raumvolumen des Hauses her handelt es sich um fast ein Drittel, eine ganze Etage. Der große Raum mit Fenstern und die darum gruppierten kleineren fensterlosen Räume sind in ihrer Nutzung eng mit Wurzens Geschichte verbunden. Hier wurde das “Wurzener Tageblatt” wiedergegründet, wirkten jahrzehntelang die Redaktion des “Rundblick” und der Geschichts- und Altstadtverein zum Wohle der Stadt und des Wurzener Landes. Diese Räume sollen und können aus unserer Sicht auch unter denkmalpflegerischen Einschränkungen unbedingt weiter in dieser Tradition genutzt werden. Der große Raum ist aufgrund der Nutzung der Räume im EG und 1. OG für Veranstaltungen der einzige Raum im Haus, den man relativ ungestört vom Hausbetrieb als Atelier für künstlerische und wissenschaftliche Arbeit (Stipendien, Stadtschreiber, Stadtmaler) nutzen kann.

Behindertengerechtigkeit ist aus unserer Sicht auch für diese Wissenschaftler und Künstler angemessen, deren Wirken im Betreiberkonzept vorgesehen ist. Künstler und Forscher werden so an das Haus und Wurzen gebunden und bereichern die Stadt mit eigens hier angesiedelten Projekten und Ergebnissen. Die Räume ohne Fenster sind zudem die einzigen möglichen Lagerräume im gesamten Haus. Gerade die wären dann nur über eine schmale Treppe zu erreichen, ein Erschwernis für die ehrenamtlich Arbeitenden

Finanziell ist der Anbau eines Fahrstuhls bis ins Dachgeschoss gesichert. Aus denkmalpflegerischer Sicht gibt es Einwände.

Die jetzige, nicht begründete Untersagung der Nutzung des Dachgeschosses, wie sie durch die Denkmalschutzbehörde erfolgte, können wir nicht nachvollziehen. Wir sind grundsätzlich wie auch bei den anderen Etagen bestrebt, Anforderungen der Denkmalpflege und unser Konzept für die Betreibung des Hauses in Einklang zu bringen. Dies haben wir bei der gemeinsamen Sitzung im Februar 2020 im Stadthaus auch begründet und bisher bei allen Anforderungen des Denkmalschutzes auch schnell und unbürokratisch bewiesen.

Der größte Schaden für die Nutzung des Ringelnatz-Geburtshauses entsteht, wenn sowohl die Nutzung des Dachgeschosses als auch die Anbindung an den Fahrstuhl unmöglich gemacht werden. Das bedeutet einen massiven Einschnitt in die Nutzungsmöglichkeiten des Hauses. Es ist eine Geringschätzung der Arbeit des bislang ehrenamtlich arbeitenden Vereins und seines für das Haus erarbeiteten langfristigen Konzeptes, statt des in mehreren Beratungen in Aussicht gestellten Kompromisses eine Nutzungsuntersagung, noch dazu ohne Begründung, auszusprechen.

Nach wie vor sind wir der Meinung: Zwischen den beiden wechselseitig abgelehnten Entwürfen für den Zwischenbau – dem der Stadt (Planungsbüro Weidemüller) und dem der Unteren Denkmalsschutzbehörde – liegt baulich die Möglichkeit eines Kompromisses. Wir sind weder Architekten noch Bauleute und können diesen Kompromiss nicht fixieren. Es dürfte aber nicht der erste Konflikt zwischen Denkmalschutz und Behindertengerechtigkeit sein, der in Deutschland gelöst werden muss. Sicher gibt es dafür auch in Sachsen Vorbilder.

Wir sind weiterhin sehr gern bereit daran mitzuwirken, diesen Kompromiss so auszuhandeln, dass alle Seiten gewinnen und die Nutzung des Hauses nicht für alle Zeit um eine ganze Etage eingeschränkt werden muss. Wir haben die Anforderungen aus der geplanten Nutzung der Räume allen Partnern rechtzeitig unterbreitet und lassen uns keinesfalls in die Rolle des Schwarzen Peters drängen, der daran Schuld tragen soll, dass die Baustelle schlecht geschützt vor einem zweiten Winter steht.

Namens der Mitglieder des Joachim-Ringelnatz-Vereines weisen wir auch darauf hin, dass uns durch den Bauverzug bereits materieller Schaden entstanden ist und weiterer Bauverzug für den Verein zu großen finanziellen Problemen führen wird. Wir haben für die Ausstattung des Hauses in Höhe von knapp 40 000 Euro Fördermittel zugesagt bekommen (ergänzt um mindestens 10 000 Euro aus Spenden und Eigenmitteln), die in 2020 zu verbrauchen sind und nicht ins neue Jahr übernommen werden dürfen.

Wir stehen nun vor der Entscheidung, bewilligte Fördermittel ganz oder teilweise zurückgeben zu müssen. Eine neue Beantragung zieht sich wieder über mindestens zwei Jahre hin. Im Namen unserer 130 Mitglieder in ganz Deutschland bitten wir als Vorstand des Vereins um eine Lösung der Konflikte, um finanziellen Schaden vom Verein abzuwenden und das Projekt der Ausgestaltung des Ringelnatz-Geburtshauses zu einem sächsischen und nationalen Gedenkort und Treffpunkt zur Erbepflege des bedeutenden Künstlers nicht einzuschränken und zu gefährden.“